Gesellschaftspolitische Bedeutung der (Privat-) Kopie
Dieser Vorschlag begründet sich im Wesentlichen auf meine Anmerkungen zur Privatkopie und G.Jacobs' Kommentar zur generellen Problematik des technisch nicht realisierbaren, wirksamen Kopierschutzes. Er soll dazu anregen, eine grundsätzliche Neubewertung der Bedeutung der "Privatkopie" unter Berücksichtigung bestimmter gesellschaftspolitischer, kultureller, aber auch technischer Aspekte vorzunehmen und diese erst zur Grundlage weiterer Entscheidungen und/oder Bewertungen rechtlicher Implikationen zu machen.
In meinem oben referenzierten Beitrag beschreibe ich ansatzweise die (private) Kopie als zentrale Kulturtechnik, die in der digitalen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Sie stellt die logische Fortführung der kulturtechnischen Entwicklung dar, die einst mit der Erfindung der mechanischen Druckerpresse begann und darüber den Boden für die allgemeine Alphabetisierung der Bevölkerung bereitete.
Durch die allgegenwärtige, international vernetzte Informationstechnik, die es so einfach und kostenneutral wie nie zuvor erlaubt, Texte, Bilder, Musik, Filme und Software zu speichern und zu verteilen, mit einander auszutauschen, es zu Archivieren und es auch weltweit Veröffentlichen zu können, erleben wir so etwas wie die allumfassende Demokratisierung der Kulturvermittlung.
Es entspricht der menschlichen Natur als intelligentes, soziales Wesen, sich über den kulturellen Austausch weiter zu entwickeln. Früher geschah dies ausschliesslich, später hauptsächlich mündlich, über Geschichten, Lieder und Erfahrungsaustausch. Dann wurden immer mehr Verfahren entwickelt, wie man kulturelle Inhalte dauerhaft speichern und breiten Bevölkerungsschichten zugänglich machen konnte. Da diese Verfahren sehr aufwändig und kostenintensiv waren, brauchte es dazu eine leistungsfähige Industrie, die solche Inhalte millionenfach in konsumgerechten Einheiten produzieren und verteilen konnte.
Heute stellt sich die Situation jedoch grundlegend anders dar: Die Technik zur Herstellung digitaler Kopien befindet sich in nahezu jedem Haushalt und/oder reist mobil mit seinem Besitzer durch die Welt. Die Möglichkeit, damit beliebige, digitale Inhalte zu erstellen, zu kopieren und über das Internet auszutauschen, ist allgegenwärtig und wird immer stärker von vielen Millionen Menschen genutzt. Dies geschieht sehr oft entgegen rechtlicher Konventionen, die dies im Einzelfall verbieten sollten, als geradezu selbstverständliche Handlung, ohne auch nur das geringste Unrechtsbewusstsein. Ich führe das darauf zurück, dass jeder Mensch sowohl die Fähigkeit besitzt, kulturelle Information aufzunehmen, als auch einen Drang, diese mit anderen zu teilen.
Dem entgegen stehen nicht nur einige Gesetze, die zur Zeit ihres Inkrafttretens noch gar nicht den privaten Konsumenten im Blick hatten (weil das Erstellen von Kopien an recht kostenintensive Produktionsanlagen gebunden war), welcher sich nun davon betroffen sieht, sondern es wird auch seitens der Industrien, die über diese Entwicklung ihr Geschäftsmodell (Produktion und Distribution von hochwertigen Kopien) bedroht sehen, darauf gedrungen, technische Lösungen zu entwickeln und/oder per Gesetz vorzuschreiben, die das private Kopieren generell unterbinden sollen (DRM, Kopierschutz). Wie G.Jacobs aber schon recht nachvollziehbar ausführte, kann es prinzipbedingt keinen wirksamen Kopierschutz geben.
Die Kopie stellt darüber hinaus die Grundlage jeglicher digitaler Datenverarbeitung dar. Jedes Abrufen von Informationen aus dem Internet ist schon ein multipler, bidirektionaler Kopiervorgang. Der Versuch, dies wirksam einzuschränken, ist gleichsam ein Versuch, den kulturtechnischen Fortschritt der Gesellschaft insgesamt zu behindern und nicht zuletzt auch ein Angriff auf ganz zentrale, grundrechtlich geschützte Lebensbereiche, weil dies eine lückenlose Beobachtung aller Kommunikationsprozesse vorausetzen würde.
Ich möchte also dazu anregen, die Frage über die gesellschaftspolitische Bedeutung der Kopie als allgemeine Kulturtechnik grundsätzlich zu diskutieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage einer rechtlichen Einordnung dieser zu machen.
Simon Hirscher ist dafür
Vielleicht könnte man an einer Stelle noch einfügen, dass Kopierschutzmaßnahmen eine künstliche Verknappung eines Gutes herbeiführen.
An dieser Stelle: Wirtschaften ist ja per Definition das planvolle Handeln zur Deckung des menschlichen Bedarfs. Dieser wiederum setzt ein Bedürfnis, also den Wunsch nach der Behebung eines Mangels voraus. Schlussfolgerung: Wo es also, wie im Fall der Kopierschutzmaßnahmen, keinen (echten) Mangel gibt, kann es im Prinzip auch keine Wirtschaft geben.
Ich bitte dabei jedoch zu beachten, dass daraus nicht die Forderung abgeleitet werden soll, das Urheberrecht abzuschaffen. Ich sage nur, dass die Verteilung eines geistigen Werks aufgrund der Digitalisierung nicht länger Mangelerscheinungen unterworfen ist (was eine gigantische Verteilerindustrie, wie wir sie im Moment haben, nur schwer rechtfertigt). Die Nachfrage nach dem geistigen Werk als wie auch immer geartetem Kulturgut besteht ja dennoch. Der Unterschied geistiger (meist digitalisierbarer) Werke / Güter zu realen Gütern besteht in Zeiten des Internets jedoch darin, dass es bei ersteren genügt, sie einmalig zu erschaffen, woraufhin sie bereits im Überfluss vorhanden sind.
Ergo: Die einmalige Erschaffung durch den Urheber muss honoriert, nicht jedoch die digitale Vervielfältigung. Man beachte im ersten Teilsatz jedoch den Satzbau: Ich spreche nicht von einer einmaligen Honorierung. Die Honorierung sollte sich meiner Meinung nach aus der Wertschätzung ergeben, die diesem Werk entgegengebracht wird. Je mehr Nutzer es findet, desto höher ist aus meiner Sicht die allgemeine Wertschätzung und desto höher muss deshalb auch das Honorar ausfallen (sofern der Urheber überhaupt eins verlangt, s. die Millionen Hits bei einzelnen YouTube-Videos). Die Aufgabe des Gesetzgebers ist nun, diese Honorierung durch angemessene technische Hilfsmittel sicherzustellen (im Sinne der Wahrung der Privatsphäre).
Das ist jetzt natürlich hauptsächlich Ideologie und wenig konstruktiv, aber ich denke, dass dies der Gedanke ist, der einzig und allein langfristig zielführend sein kann.