Papier: 1.10 (Neue Regelungsansätze)
Originalversion
1 | Neue Regelungsansätze im Urheberrecht |
2 | |
3 | Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit |
4 | sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. |
5 | wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden |
6 | muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft |
7 | gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der |
8 | Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer |
9 | weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich |
10 | unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption |
11 | vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges |
12 | Eigentum). |
13 | |
14 | Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen |
15 | Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus |
16 | sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann |
17 | und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht oder |
18 | aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, diese |
19 | Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund (aber |
20 | keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des |
21 | Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen |
22 | konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen einige |
23 | gewichtige im Folgenden dargestellt werden. |
24 | |
25 | Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des |
26 | Immaterialgüterrechts |
27 | |
28 | Neujustierung des Interessenausgleichs |
29 | |
30 | Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die |
31 | ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, |
32 | angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern |
33 | immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen |
34 | anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem |
35 | Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen |
36 | Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen |
37 | Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen |
38 | Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom |
39 | Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. |
40 | |
41 | Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption des |
42 | Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das Interesse an |
43 | einer Werknutzung als eigenständiges – oder sogar mit dem |
44 | Interesse des Schutzes des Schöpfers gleichwertiges – |
45 | Interesse in die Konzeption eingezogen wird (etwa der ehem. |
46 | Hamburger Justizsenator Steffen). |
47 | |
48 | Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege |
49 | für die strukturellen Veränderungen im Bereich der |
50 | Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen |
51 | Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass ein |
52 | Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa sehr |
53 | wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche |
54 | Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht |
55 | entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of digital |
56 | content, 2009, Rz. 148 ff.]. |
57 | |
58 | In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine |
59 | stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach |
60 | unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen |
61 | Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter |
62 | dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes |
63 | Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa |
64 | Grosheide). |
65 | |
66 | Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits |
67 | solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es |
68 | bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner |
69 | Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich |
70 | eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der |
71 | Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für |
72 | Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden |
73 | dieses Spektrum erweitern. |
74 | |
75 | Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für |
76 | andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von |
77 | Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. |
78 | |
79 | Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines |
80 | Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen |
81 | Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine |
82 | Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist mehr |
83 | als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten |
84 | zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die |
85 | Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür |
86 | ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, |
87 | auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine |
88 | Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits |
89 | feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form |
90 | von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, |
91 | massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich andererseits |
92 | diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. Ähnlich dem |
93 | Vorgang, den Jürgen Habermas einst als Strukturwandel der |
94 | Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich im Netz neue |
95 | Teilbereiche von Öffentlichkeit herausgebildet, die |
96 | subjektiv als privat empfunden werden, juristisch jedoch |
97 | nach wie vor dem Bereich der Öffentlichkeit zugerechnet |
98 | werden. Das Recht hat also mit diesem neuen Strukturwandel |
99 | nicht Schritt gehalten. |
100 | |
101 | Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive der |
102 | Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von |
103 | urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser |
104 | neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache |
105 | Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass |
106 | hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie |
107 | „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen |
108 | seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten |
109 | Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher |
110 | Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit |
111 | unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch |
112 | nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den |
113 | Schutzinteressen von Rechteinhabern und den |
114 | Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten |
115 | von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. |
116 | |
117 | In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen |
118 | zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes |
119 | Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und |
120 | nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während |
121 | der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln |
122 | in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, unterscheidet |
123 | das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur zwischen privat |
124 | und öffentlich. Den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten wird |
125 | dies nicht mehr gerecht, und auch der vermeintliche oder |
126 | tatsächliche Schaden für die Rechteinhaber lässt sich ohne |
127 | eine solche Differenzierung kaum sinnvoll abschätzen. |
128 | |
129 | Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter |
130 | |
131 | Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und |
132 | Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische |
133 | Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur |
134 | Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den |
135 | verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen |
136 | herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer |
137 | verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die |
138 | Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 |
139 | GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. |
140 | |
141 | Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht der |
142 | Europäischen Union gebunden; so sind die |
143 | Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim |
144 | Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen |
145 | Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter |
146 | Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in |
147 | der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend |
148 | geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt |
149 | die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht |
150 | erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. |
151 | |
152 | Nach der wohl herrschenden Auffassung in der |
153 | Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen |
154 | grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, |
155 | dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung |
156 | zugrunde zu legen ist. |
157 | |
158 | In der politischen sowie der Fachdiskussion sind |
159 | Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der |
160 | Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht für |
161 | Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu aller |
162 | maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen und |
163 | vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine allgemeine |
164 | Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht |
165 | einzuführen. Diese könnte die bisherigen kleinteiligen und |
166 | höchst komplizierten Schrankenlösungen, zum Beispiel in den |
167 | Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a ersetzen. Auf europäsicher |
168 | Ebene ist seit Längerem eine Schranke für derivatives |
169 | Werkschaffen im Zusammenhang mit user-generated content im |
170 | Gespräch, durch die Remixes und Mash-ups entkriminalisiert |
171 | werden könnten. Last, not least legen die obigen |
172 | Ausführungen zur zunehmend problematischen Trennung von |
173 | Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, Schranken für |
174 | bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten einzuführen. |
175 | |
176 | Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der |
177 | „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und |
178 | weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung |
179 | zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem |
180 | Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher |
181 | eingegangen. |
182 | |
183 | Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische |
184 | System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts |
185 | raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher |
186 | generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. |
187 | Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen |
188 | Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die allerdings |
189 | über unterschiedliche „Tests“ wiederum Teilregelungen kennt, |
190 | die schrankenartigen Charakter haben. Es bleibt die |
191 | Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in den USA |
192 | größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und damit die |
193 | übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich welche |
194 | Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht erarbeitet |
195 | werden können. |
196 | Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein |
197 | gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre |
198 | beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend |
199 | aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie |
200 | vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten |
201 | Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, |
202 | die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. |
203 | |
204 | Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der |
205 | (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen |
206 | Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher |
207 | langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige |
208 | Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten |
209 | gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung der |
210 | Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen hinterher, |
211 | anstatt durch weiter gefasste Formulierung und Vorgabe von |
212 | Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. |
213 | |
214 | Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder |
215 | eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den |
216 | Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer |
217 | Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf |
218 | Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen |
219 | (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen |
220 | Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang |
221 | von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein |
222 | Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis |
223 | zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten |
224 | Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das |
225 | Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen |
226 | Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem |
227 | privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich |
228 | nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an |
229 | dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen |
230 | hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern |
231 | in privater Hand. |
232 | |
233 | Rechtsdurchsetzung |
234 | |
235 | Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung |
236 | |
237 | Sehr deutlich werden die unterschiedlichen |
238 | Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die |
239 | Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen |
240 | immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige |
241 | manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz |
242 | und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts |
243 | an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der |
244 | Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt |
245 | oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei |
246 | Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach |
247 | einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf |
248 | ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: |
249 | |
250 | - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht |
251 | gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln im |
252 | Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den rechtlichen |
253 | Normen des Immaterialgüterrechts stehen. Vorschläge der |
254 | Medienkompetenzförderung gerade in diesem Gebiet und auch an |
255 | Internetnutzer versandte „Warnungen“ können in diese |
256 | Richtung deuten. Studien belegen, dass auch Struktur und |
257 | Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen auf die |
258 | Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer richten |
259 | (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit |
260 | Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) |
261 | einhergehen. |
262 | |
263 | - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der |
264 | Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu |
265 | sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit |
266 | ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa |
267 | die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz |
268 | erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für |
269 | Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- |
270 | und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind |
271 | und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine |
272 | Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von |
273 | Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von |
274 | Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher |
275 | gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das |
276 | Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich nicht |
277 | auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische Merkmale |
278 | stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der unlängst |
279 | bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario Sixtus, dessen |
280 | Videos gegen seinen eigenen Willen auf Betreiben der |
281 | Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen |
282 | (GVU) von verschiedenen Videoportalen gelöscht wurden, hat |
283 | dies eindrücklich verdeutlicht. |
284 | |
285 | - Schließlich können auch die Erleichterung der rechtlichen |
286 | Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie abschreckende |
287 | Sanktionen eine Reaktion auf Durchsetzungsdefizite sein. |
288 | |
289 | - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche |
290 | Grundlage, Internetnutzer, die gegen |
291 | immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom Internet |
292 | abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu verlangsamen |
293 | („Three Strikes and out“). Dass das französische |
294 | Verfassungsgericht die erste Fassung dieses Gesetzes mit |
295 | Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten und das |
296 | verfassungsrechtlich geschützte Interesse am Internetzugang |
297 | kritisiert hat, macht die Probleme einer solchen Regelung |
298 | deutlich, die – soweit ersichtlich – in Deutschland auch von |
299 | den Rechteinhabern nicht gefordert wird. |
300 | |
301 | Rechtsdurchsetzung und Intermediäre |
302 | |
303 | Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, |
304 | dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg |
305 | zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer |
306 | treten (Intermediäre). |
307 | |
308 | Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler |
309 | (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter |
310 | (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den |
311 | Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative |
312 | Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den |
313 | Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale Dritte“ |
314 | nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den Blick treten |
315 | oder auch von illegalem Datenverkehr profitieren, ist |
316 | umstritten. Ob und wie sie in ein System der |
317 | Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine |
318 | zentrale Frage. |
319 | |
320 | Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und |
321 | fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind |
322 | Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das |
323 | Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen |
324 | transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden |
325 | (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten |
326 | Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, |
327 | würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um |
328 | auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen |
329 | einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu |
330 | kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu |
331 | beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor geöffnet. |
332 | Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf eine |
333 | Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. Denn |
334 | während die Löschung oder Blockierung von illegalen Inhalten |
335 | derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden muss, |
336 | müssten dann die Provider selbst handeln - die |
337 | Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im |
338 | Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht |
339 | wünschenswert. |
340 | |
341 | Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa |
342 | Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu |
343 | veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar |
344 | traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung |
345 | treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in |
346 | der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit |
347 | allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer |
348 | bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich profitieren |
349 | (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat in 2010 eine |
350 | täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird in der |
351 | wissenschaftlichen Literatur allerdings auch kritisiert |
352 | (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen zwischen |
353 | Rechteinhabern und Plattformbetreibern über |
354 | Vergütungsmodelle. |
355 | |
356 | Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, |
357 | die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf ihre Nutzer |
358 | abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise |
359 | Videoplattformen für urheberrechtsverletzende |
360 | Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie |
361 | nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich darüber |
362 | in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint es, |
363 | ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus schlüssig, |
364 | dass Unternehmen, die lediglich eine Dienstleistung |
365 | anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende Handlungen |
366 | ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. Andererseits |
367 | folgt daraus in der Praxis eine hohe Rechtsunsicherheit, da |
368 | die Anbieter ohne juristische Prüfung letztlich gar nicht |
369 | beurteilen können, ob entsprechende Hinweise tatsächlich |
370 | berechtigt sind. Auch hier droht also die Gefahr einer |
371 | letztlich willkürlichen privatwirtschaftlichen Regulierung. |
372 | |
373 | Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie |
374 | Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content so |
375 | gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch den |
376 | Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung |
377 | aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf |
378 | hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online |
379 | publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig |
380 | noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen |
381 | Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass |
382 | dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht |
383 | möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema |
384 | durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen |
385 | wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.) |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Neue Regelungsansätze im Urheberrecht |
2 | |
3 | Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit |
4 | sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. |
5 | wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden |
6 | muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft |
7 | gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der |
8 | Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer |
9 | weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich |
10 | unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption |
11 | vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges |
12 | Eigentum). |
13 | |
14 | Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen |
15 | Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus |
16 | sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann |
17 | und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht oder |
18 | aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, diese |
19 | Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund (aber |
20 | keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des |
21 | Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen |
22 | konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen einige |
23 | gewichtige im Folgenden dargestellt werden. |
24 | |
25 | Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des |
26 | Immaterialgüterrechts |
27 | |
28 | Neujustierung des Interessenausgleichs |
29 | |
30 | Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die |
31 | ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, |
32 | angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern |
33 | immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen |
34 | anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem |
35 | Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen |
36 | Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen |
37 | Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen |
38 | Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom |
39 | Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. |
40 | |
41 | Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption des |
42 | Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das Interesse an |
43 | einer Werknutzung als eigenständiges – oder sogar mit dem |
44 | Interesse des Schutzes des Schöpfers gleichwertiges – |
45 | Interesse in die Konzeption eingezogen wird (etwa der ehem. |
46 | Hamburger Justizsenator Steffen). |
47 | |
48 | Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege |
49 | für die strukturellen Veränderungen im Bereich der |
50 | Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen |
51 | Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass ein |
52 | Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa sehr |
53 | wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche |
54 | Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht |
55 | entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of digital |
56 | content, 2009, Rz. 148 ff.]. |
57 | |
58 | In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine |
59 | stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach |
60 | unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen |
61 | Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter |
62 | dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes |
63 | Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa |
64 | Grosheide). |
65 | |
66 | Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits |
67 | solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es |
68 | bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner |
69 | Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich |
70 | eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der |
71 | Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für |
72 | Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden |
73 | dieses Spektrum erweitern. |
74 | |
75 | Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für |
76 | andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von |
77 | Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. |
78 | |
79 | Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines |
80 | Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen |
81 | Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine |
82 | Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist mehr |
83 | als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten |
84 | zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die |
85 | Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür |
86 | ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, |
87 | auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine |
88 | Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits |
89 | feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form |
90 | von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, |
91 | massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich andererseits |
92 | diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. Ähnlich dem |
93 | Vorgang, den Jürgen Habermas einst als Strukturwandel der |
94 | Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich im Netz neue |
95 | Teilbereiche von Öffentlichkeit herausgebildet, die |
96 | subjektiv als privat empfunden werden, juristisch jedoch |
97 | nach wie vor dem Bereich der Öffentlichkeit zugerechnet |
98 | werden. Das Recht hat also mit diesem neuen Strukturwandel |
99 | nicht Schritt gehalten. |
100 | |
101 | Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive der |
102 | Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von |
103 | urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser |
104 | neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache |
105 | Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass |
106 | hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie |
107 | „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen |
108 | seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten |
109 | Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher |
110 | Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit |
111 | unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch |
112 | nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den |
113 | Schutzinteressen von Rechteinhabern und den |
114 | Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten |
115 | von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. |
116 | |
117 | In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen |
118 | zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes |
119 | Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und |
120 | nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während |
121 | der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln |
122 | in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, unterscheidet |
123 | das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur zwischen privat |
124 | und öffentlich. Den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten wird |
125 | dies nicht mehr gerecht, und auch der vermeintliche oder |
126 | tatsächliche Schaden für die Rechteinhaber lässt sich ohne |
127 | eine solche Differenzierung kaum sinnvoll abschätzen. |
128 | |
129 | Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter |
130 | |
131 | Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und |
132 | Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische |
133 | Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur |
134 | Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den |
135 | verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen |
136 | herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer |
137 | verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die |
138 | Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 |
139 | GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. |
140 | |
141 | Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht der |
142 | Europäischen Union gebunden; so sind die |
143 | Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim |
144 | Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen |
145 | Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter |
146 | Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in |
147 | der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend |
148 | geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt |
149 | die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht |
150 | erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. |
151 | |
152 | Nach der wohl herrschenden Auffassung in der |
153 | Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen |
154 | grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, |
155 | dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung |
156 | zugrunde zu legen ist. |
157 | |
158 | In der politischen sowie der Fachdiskussion sind |
159 | Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der |
160 | Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht für |
161 | Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu aller |
162 | maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen und |
163 | vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine allgemeine |
164 | Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht |
165 | einzuführen. Diese könnte die bisherigen kleinteiligen und |
166 | höchst komplizierten Schrankenlösungen, zum Beispiel in den |
167 | Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a ersetzen. Auf europäsicher |
168 | Ebene ist seit Längerem eine Schranke für derivatives |
169 | Werkschaffen im Zusammenhang mit user-generated content im |
170 | Gespräch, durch die Remixes und Mash-ups entkriminalisiert |
171 | werden könnten. Last, not least legen die obigen |
172 | Ausführungen zur zunehmend problematischen Trennung von |
173 | Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, Schranken für |
174 | bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten einzuführen. |
175 | |
176 | Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der |
177 | „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und |
178 | weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung |
179 | zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem |
180 | Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher |
181 | eingegangen. |
182 | |
183 | Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische |
184 | System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts |
185 | raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher |
186 | generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. |
187 | Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen |
188 | Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die allerdings |
189 | über unterschiedliche „Tests“ wiederum Teilregelungen kennt, |
190 | die schrankenartigen Charakter haben. Es bleibt die |
191 | Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in den USA |
192 | größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und damit die |
193 | übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich welche |
194 | Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht erarbeitet |
195 | werden können. |
196 | Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein |
197 | gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre |
198 | beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend |
199 | aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie |
200 | vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten |
201 | Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, |
202 | die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. |
203 | |
204 | Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der |
205 | (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen |
206 | Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher |
207 | langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige |
208 | Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten |
209 | gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung der |
210 | Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen hinterher, |
211 | anstatt durch weiter gefasste Formulierung und Vorgabe von |
212 | Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. |
213 | |
214 | Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder |
215 | eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den |
216 | Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer |
217 | Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf |
218 | Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen |
219 | (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen |
220 | Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang |
221 | von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein |
222 | Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis |
223 | zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten |
224 | Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das |
225 | Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen |
226 | Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem |
227 | privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich |
228 | nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an |
229 | dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen |
230 | hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern |
231 | in privater Hand. |
232 | |
233 | Rechtsdurchsetzung |
234 | |
235 | Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung |
236 | |
237 | Sehr deutlich werden die unterschiedlichen |
238 | Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die |
239 | Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen |
240 | immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige |
241 | manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz |
242 | und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts |
243 | an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der |
244 | Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt |
245 | oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei |
246 | Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach |
247 | einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf |
248 | ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: |
249 | |
250 | - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht |
251 | gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln im |
252 | Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den rechtlichen |
253 | Normen des Immaterialgüterrechts stehen. Vorschläge der |
254 | Medienkompetenzförderung gerade in diesem Gebiet und auch an |
255 | Internetnutzer versandte „Warnungen“ können in diese |
256 | Richtung deuten. Studien belegen, dass auch Struktur und |
257 | Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen auf die |
258 | Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer richten |
259 | (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit |
260 | Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) |
261 | einhergehen. |
262 | |
263 | - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der |
264 | Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu |
265 | sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit |
266 | ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa |
267 | die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz |
268 | erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für |
269 | Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- |
270 | und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind |
271 | und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine |
272 | Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von |
273 | Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von |
274 | Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher |
275 | gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das |
276 | Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich nicht |
277 | auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische Merkmale |
278 | stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der unlängst |
279 | bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario Sixtus, dessen |
280 | Videos gegen seinen eigenen Willen auf Betreiben der |
281 | Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen |
282 | (GVU) von verschiedenen Videoportalen gelöscht wurden, hat |
283 | dies eindrücklich verdeutlicht. |
284 | |
285 | - Schließlich können auch die Erleichterung der rechtlichen |
286 | Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie abschreckende |
287 | Sanktionen eine Reaktion auf Durchsetzungsdefizite sein. |
288 | |
289 | - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche |
290 | Grundlage, Internetnutzer, die gegen |
291 | immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom Internet |
292 | abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu verlangsamen |
293 | („Three Strikes and out“). Dass das französische |
294 | Verfassungsgericht die erste Fassung dieses Gesetzes mit |
295 | Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten und das |
296 | verfassungsrechtlich geschützte Interesse am Internetzugang |
297 | kritisiert hat, macht die Probleme einer solchen Regelung |
298 | deutlich, die – soweit ersichtlich – in Deutschland auch von |
299 | den Rechteinhabern nicht gefordert wird. |
300 | |
301 | Rechtsdurchsetzung und Intermediäre |
302 | |
303 | Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, |
304 | dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg |
305 | zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer |
306 | treten (Intermediäre). |
307 | |
308 | Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler |
309 | (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter |
310 | (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den |
311 | Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative |
312 | Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den |
313 | Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale Dritte“ |
314 | nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den Blick treten |
315 | oder auch von illegalem Datenverkehr profitieren, ist |
316 | umstritten. Ob und wie sie in ein System der |
317 | Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine |
318 | zentrale Frage. |
319 | |
320 | Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und |
321 | fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind |
322 | Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das |
323 | Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen |
324 | transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden |
325 | (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten |
326 | Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, |
327 | würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um |
328 | auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen |
329 | einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu |
330 | kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu |
331 | beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor geöffnet. |
332 | Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf eine |
333 | Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. Denn |
334 | während die Löschung oder Blockierung von illegalen Inhalten |
335 | derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden muss, |
336 | müssten dann die Provider selbst handeln - die |
337 | Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im |
338 | Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht |
339 | wünschenswert. |
340 | |
341 | Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa |
342 | Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu |
343 | veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar |
344 | traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung |
345 | treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in |
346 | der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit |
347 | allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer |
348 | bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich profitieren |
349 | (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat in 2010 eine |
350 | täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird in der |
351 | wissenschaftlichen Literatur allerdings auch kritisiert |
352 | (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen zwischen |
353 | Rechteinhabern und Plattformbetreibern über |
354 | Vergütungsmodelle. |
355 | |
356 | Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, |
357 | die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf ihre Nutzer |
358 | abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise |
359 | Videoplattformen für urheberrechtsverletzende |
360 | Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie |
361 | nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich darüber |
362 | in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint es, |
363 | ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus schlüssig, |
364 | dass Unternehmen, die lediglich eine Dienstleistung |
365 | anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende Handlungen |
366 | ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. Andererseits |
367 | folgt daraus in der Praxis eine hohe Rechtsunsicherheit, da |
368 | die Anbieter ohne juristische Prüfung letztlich gar nicht |
369 | beurteilen können, ob entsprechende Hinweise tatsächlich |
370 | berechtigt sind. Auch hier droht also die Gefahr einer |
371 | letztlich willkürlichen privatwirtschaftlichen Regulierung. |
372 | |
373 | Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie |
374 | Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content so |
375 | gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch den |
376 | Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung |
377 | aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf |
378 | hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online |
379 | publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig |
380 | noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen |
381 | Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass |
382 | dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht |
383 | möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema |
384 | durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen |
385 | wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.) |
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