Papier: 1.10 (Neue Regelungsansätze)
Originalversion
| 1 | Neue Regelungsansätze im Urheberrecht |
| 2 | |
| 3 | Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit |
| 4 | sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. |
| 5 | wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden |
| 6 | muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft |
| 7 | gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der |
| 8 | Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer |
| 9 | weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich |
| 10 | unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption |
| 11 | vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges |
| 12 | Eigentum). |
| 13 | |
| 14 | Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen |
| 15 | Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus |
| 16 | sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann |
| 17 | und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht oder |
| 18 | aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, diese |
| 19 | Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund (aber |
| 20 | keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des |
| 21 | Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen |
| 22 | konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen einige |
| 23 | gewichtige im Folgenden dargestellt werden. |
| 24 | |
| 25 | Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des |
| 26 | Immaterialgüterrechts |
| 27 | |
| 28 | Neujustierung des Interessenausgleichs |
| 29 | |
| 30 | Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die |
| 31 | ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, |
| 32 | angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern |
| 33 | immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen |
| 34 | anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem |
| 35 | Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen |
| 36 | Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen |
| 37 | Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen |
| 38 | Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom |
| 39 | Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. |
| 40 | |
| 41 | Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption des |
| 42 | Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das Interesse an |
| 43 | einer Werknutzung als eigenständiges – oder sogar mit dem |
| 44 | Interesse des Schutzes des Schöpfers gleichwertiges – |
| 45 | Interesse in die Konzeption eingezogen wird (etwa der ehem. |
| 46 | Hamburger Justizsenator Steffen). |
| 47 | |
| 48 | Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege |
| 49 | für die strukturellen Veränderungen im Bereich der |
| 50 | Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen |
| 51 | Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass ein |
| 52 | Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa sehr |
| 53 | wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche |
| 54 | Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht |
| 55 | entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of digital |
| 56 | content, 2009, Rz. 148 ff.]. |
| 57 | |
| 58 | In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine |
| 59 | stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach |
| 60 | unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen |
| 61 | Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter |
| 62 | dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes |
| 63 | Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa |
| 64 | Grosheide). |
| 65 | |
| 66 | Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits |
| 67 | solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es |
| 68 | bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner |
| 69 | Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich |
| 70 | eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der |
| 71 | Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für |
| 72 | Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden |
| 73 | dieses Spektrum erweitern. |
| 74 | |
| 75 | Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für |
| 76 | andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von |
| 77 | Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. |
| 78 | |
| 79 | Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines |
| 80 | Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen |
| 81 | Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine |
| 82 | Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist mehr |
| 83 | als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten |
| 84 | zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die |
| 85 | Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür |
| 86 | ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, |
| 87 | auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine |
| 88 | Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits |
| 89 | feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form |
| 90 | von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, |
| 91 | massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich andererseits |
| 92 | diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. Ähnlich dem |
| 93 | Vorgang, den Jürgen Habermas einst als Strukturwandel der |
| 94 | Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich im Netz neue |
| 95 | Teilbereiche von Öffentlichkeit herausgebildet, die |
| 96 | subjektiv als privat empfunden werden, juristisch jedoch |
| 97 | nach wie vor dem Bereich der Öffentlichkeit zugerechnet |
| 98 | werden. Das Recht hat also mit diesem neuen Strukturwandel |
| 99 | nicht Schritt gehalten. |
| 100 | |
| 101 | Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive der |
| 102 | Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von |
| 103 | urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser |
| 104 | neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache |
| 105 | Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass |
| 106 | hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie |
| 107 | „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen |
| 108 | seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten |
| 109 | Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher |
| 110 | Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit |
| 111 | unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch |
| 112 | nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den |
| 113 | Schutzinteressen von Rechteinhabern und den |
| 114 | Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten |
| 115 | von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. |
| 116 | |
| 117 | In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen |
| 118 | zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes |
| 119 | Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und |
| 120 | nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während |
| 121 | der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln |
| 122 | in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, unterscheidet |
| 123 | das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur zwischen privat |
| 124 | und öffentlich. Den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten wird |
| 125 | dies nicht mehr gerecht, und auch der vermeintliche oder |
| 126 | tatsächliche Schaden für die Rechteinhaber lässt sich ohne |
| 127 | eine solche Differenzierung kaum sinnvoll abschätzen. |
| 128 | |
| 129 | Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter |
| 130 | |
| 131 | Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und |
| 132 | Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische |
| 133 | Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur |
| 134 | Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den |
| 135 | verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen |
| 136 | herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer |
| 137 | verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die |
| 138 | Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 |
| 139 | GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. |
| 140 | |
| 141 | Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht der |
| 142 | Europäischen Union gebunden; so sind die |
| 143 | Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim |
| 144 | Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen |
| 145 | Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter |
| 146 | Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in |
| 147 | der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend |
| 148 | geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt |
| 149 | die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht |
| 150 | erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. |
| 151 | |
| 152 | Nach der wohl herrschenden Auffassung in der |
| 153 | Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen |
| 154 | grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, |
| 155 | dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung |
| 156 | zugrunde zu legen ist. |
| 157 | |
| 158 | In der politischen sowie der Fachdiskussion sind |
| 159 | Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der |
| 160 | Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht für |
| 161 | Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu aller |
| 162 | maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen und |
| 163 | vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine allgemeine |
| 164 | Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht |
| 165 | einzuführen. Diese könnte die bisherigen kleinteiligen und |
| 166 | höchst komplizierten Schrankenlösungen, zum Beispiel in den |
| 167 | Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a ersetzen. Auf europäsicher |
| 168 | Ebene ist seit Längerem eine Schranke für derivatives |
| 169 | Werkschaffen im Zusammenhang mit user-generated content im |
| 170 | Gespräch, durch die Remixes und Mash-ups entkriminalisiert |
| 171 | werden könnten. Last, not least legen die obigen |
| 172 | Ausführungen zur zunehmend problematischen Trennung von |
| 173 | Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, Schranken für |
| 174 | bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten einzuführen. |
| 175 | |
| 176 | Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der |
| 177 | „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und |
| 178 | weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung |
| 179 | zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem |
| 180 | Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher |
| 181 | eingegangen. |
| 182 | |
| 183 | Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische |
| 184 | System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts |
| 185 | raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher |
| 186 | generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. |
| 187 | Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen |
| 188 | Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die allerdings |
| 189 | über unterschiedliche „Tests“ wiederum Teilregelungen kennt, |
| 190 | die schrankenartigen Charakter haben. Es bleibt die |
| 191 | Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in den USA |
| 192 | größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und damit die |
| 193 | übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich welche |
| 194 | Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht erarbeitet |
| 195 | werden können. |
| 196 | Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein |
| 197 | gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre |
| 198 | beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend |
| 199 | aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie |
| 200 | vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten |
| 201 | Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, |
| 202 | die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. |
| 203 | |
| 204 | Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der |
| 205 | (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen |
| 206 | Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher |
| 207 | langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige |
| 208 | Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten |
| 209 | gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung der |
| 210 | Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen hinterher, |
| 211 | anstatt durch weiter gefasste Formulierung und Vorgabe von |
| 212 | Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. |
| 213 | |
| 214 | Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder |
| 215 | eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den |
| 216 | Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer |
| 217 | Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf |
| 218 | Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen |
| 219 | (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen |
| 220 | Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang |
| 221 | von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein |
| 222 | Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis |
| 223 | zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten |
| 224 | Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das |
| 225 | Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen |
| 226 | Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem |
| 227 | privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich |
| 228 | nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an |
| 229 | dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen |
| 230 | hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern |
| 231 | in privater Hand. |
| 232 | |
| 233 | Rechtsdurchsetzung |
| 234 | |
| 235 | Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung |
| 236 | |
| 237 | Sehr deutlich werden die unterschiedlichen |
| 238 | Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die |
| 239 | Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen |
| 240 | immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige |
| 241 | manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz |
| 242 | und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts |
| 243 | an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der |
| 244 | Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt |
| 245 | oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei |
| 246 | Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach |
| 247 | einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf |
| 248 | ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: |
| 249 | |
| 250 | - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht |
| 251 | gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln im |
| 252 | Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den rechtlichen |
| 253 | Normen des Immaterialgüterrechts stehen. Vorschläge der |
| 254 | Medienkompetenzförderung gerade in diesem Gebiet und auch an |
| 255 | Internetnutzer versandte „Warnungen“ können in diese |
| 256 | Richtung deuten. Studien belegen, dass auch Struktur und |
| 257 | Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen auf die |
| 258 | Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer richten |
| 259 | (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit |
| 260 | Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) |
| 261 | einhergehen. |
| 262 | |
| 263 | - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der |
| 264 | Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu |
| 265 | sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit |
| 266 | ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa |
| 267 | die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz |
| 268 | erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für |
| 269 | Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- |
| 270 | und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind |
| 271 | und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine |
| 272 | Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von |
| 273 | Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von |
| 274 | Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher |
| 275 | gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das |
| 276 | Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich nicht |
| 277 | auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische Merkmale |
| 278 | stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der unlängst |
| 279 | bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario Sixtus, dessen |
| 280 | Videos gegen seinen eigenen Willen auf Betreiben der |
| 281 | Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen |
| 282 | (GVU) von verschiedenen Videoportalen gelöscht wurden, hat |
| 283 | dies eindrücklich verdeutlicht. |
| 284 | |
| 285 | - Schließlich können auch die Erleichterung der rechtlichen |
| 286 | Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie abschreckende |
| 287 | Sanktionen eine Reaktion auf Durchsetzungsdefizite sein. |
| 288 | |
| 289 | - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche |
| 290 | Grundlage, Internetnutzer, die gegen |
| 291 | immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom Internet |
| 292 | abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu verlangsamen |
| 293 | („Three Strikes and out“). Dass das französische |
| 294 | Verfassungsgericht die erste Fassung dieses Gesetzes mit |
| 295 | Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten und das |
| 296 | verfassungsrechtlich geschützte Interesse am Internetzugang |
| 297 | kritisiert hat, macht die Probleme einer solchen Regelung |
| 298 | deutlich, die – soweit ersichtlich – in Deutschland auch von |
| 299 | den Rechteinhabern nicht gefordert wird. |
| 300 | |
| 301 | Rechtsdurchsetzung und Intermediäre |
| 302 | |
| 303 | Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, |
| 304 | dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg |
| 305 | zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer |
| 306 | treten (Intermediäre). |
| 307 | |
| 308 | Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler |
| 309 | (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter |
| 310 | (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den |
| 311 | Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative |
| 312 | Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den |
| 313 | Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale Dritte“ |
| 314 | nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den Blick treten |
| 315 | oder auch von illegalem Datenverkehr profitieren, ist |
| 316 | umstritten. Ob und wie sie in ein System der |
| 317 | Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine |
| 318 | zentrale Frage. |
| 319 | |
| 320 | Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und |
| 321 | fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind |
| 322 | Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das |
| 323 | Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen |
| 324 | transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden |
| 325 | (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten |
| 326 | Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, |
| 327 | würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um |
| 328 | auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen |
| 329 | einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu |
| 330 | kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu |
| 331 | beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor geöffnet. |
| 332 | Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf eine |
| 333 | Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. Denn |
| 334 | während die Löschung oder Blockierung von illegalen Inhalten |
| 335 | derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden muss, |
| 336 | müssten dann die Provider selbst handeln - die |
| 337 | Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im |
| 338 | Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht |
| 339 | wünschenswert. |
| 340 | |
| 341 | Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa |
| 342 | Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu |
| 343 | veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar |
| 344 | traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung |
| 345 | treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in |
| 346 | der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit |
| 347 | allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer |
| 348 | bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich profitieren |
| 349 | (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat in 2010 eine |
| 350 | täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird in der |
| 351 | wissenschaftlichen Literatur allerdings auch kritisiert |
| 352 | (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen zwischen |
| 353 | Rechteinhabern und Plattformbetreibern über |
| 354 | Vergütungsmodelle. |
| 355 | |
| 356 | Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, |
| 357 | die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf ihre Nutzer |
| 358 | abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise |
| 359 | Videoplattformen für urheberrechtsverletzende |
| 360 | Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie |
| 361 | nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich darüber |
| 362 | in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint es, |
| 363 | ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus schlüssig, |
| 364 | dass Unternehmen, die lediglich eine Dienstleistung |
| 365 | anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende Handlungen |
| 366 | ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. Andererseits |
| 367 | folgt daraus in der Praxis eine hohe Rechtsunsicherheit, da |
| 368 | die Anbieter ohne juristische Prüfung letztlich gar nicht |
| 369 | beurteilen können, ob entsprechende Hinweise tatsächlich |
| 370 | berechtigt sind. Auch hier droht also die Gefahr einer |
| 371 | letztlich willkürlichen privatwirtschaftlichen Regulierung. |
| 372 | |
| 373 | Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie |
| 374 | Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content so |
| 375 | gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch den |
| 376 | Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung |
| 377 | aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf |
| 378 | hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online |
| 379 | publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig |
| 380 | noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen |
| 381 | Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass |
| 382 | dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht |
| 383 | möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema |
| 384 | durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen |
| 385 | wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.) |
Der Text verglichen mit der Originalversion
| 1 | Neue Regelungsansätze im Urheberrecht |
| 2 | |
| 3 | Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit |
| 4 | sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. |
| 5 | wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden |
| 6 | muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft |
| 7 | gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der |
| 8 | Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer |
| 9 | weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich |
| 10 | unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption |
| 11 | vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges |
| 12 | Eigentum). |
| 13 | |
| 14 | Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen |
| 15 | Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus |
| 16 | sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann |
| 17 | und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht oder |
| 18 | aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, diese |
| 19 | Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund (aber |
| 20 | keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des |
| 21 | Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen |
| 22 | konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen einige |
| 23 | gewichtige im Folgenden dargestellt werden. |
| 24 | |
| 25 | Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des |
| 26 | Immaterialgüterrechts |
| 27 | |
| 28 | Neujustierung des Interessenausgleichs |
| 29 | |
| 30 | Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die |
| 31 | ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, |
| 32 | angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern |
| 33 | immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen |
| 34 | anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem |
| 35 | Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen |
| 36 | Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen |
| 37 | Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen |
| 38 | Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom |
| 39 | Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. |
| 40 | |
| 41 | Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption des |
| 42 | Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das Interesse an |
| 43 | einer Werknutzung als eigenständiges – oder sogar mit dem |
| 44 | Interesse des Schutzes des Schöpfers gleichwertiges – |
| 45 | Interesse in die Konzeption eingezogen wird (etwa der ehem. |
| 46 | Hamburger Justizsenator Steffen). |
| 47 | |
| 48 | Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege |
| 49 | für die strukturellen Veränderungen im Bereich der |
| 50 | Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen |
| 51 | Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass ein |
| 52 | Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa sehr |
| 53 | wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche |
| 54 | Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht |
| 55 | entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of digital |
| 56 | content, 2009, Rz. 148 ff.]. |
| 57 | |
| 58 | In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine |
| 59 | stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach |
| 60 | unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen |
| 61 | Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter |
| 62 | dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes |
| 63 | Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa |
| 64 | Grosheide). |
| 65 | |
| 66 | Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits |
| 67 | solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es |
| 68 | bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner |
| 69 | Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich |
| 70 | eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der |
| 71 | Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für |
| 72 | Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden |
| 73 | dieses Spektrum erweitern. |
| 74 | |
| 75 | Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für |
| 76 | andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von |
| 77 | Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. |
| 78 | |
| 79 | Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines |
| 80 | Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen |
| 81 | Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine |
| 82 | Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist mehr |
| 83 | als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten |
| 84 | zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die |
| 85 | Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür |
| 86 | ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, |
| 87 | auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine |
| 88 | Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits |
| 89 | feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form |
| 90 | von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, |
| 91 | massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich andererseits |
| 92 | diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. Ähnlich dem |
| 93 | Vorgang, den Jürgen Habermas einst als Strukturwandel der |
| 94 | Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich im Netz neue |
| 95 | Teilbereiche von Öffentlichkeit herausgebildet, die |
| 96 | subjektiv als privat empfunden werden, juristisch jedoch |
| 97 | nach wie vor dem Bereich der Öffentlichkeit zugerechnet |
| 98 | werden. Das Recht hat also mit diesem neuen Strukturwandel |
| 99 | nicht Schritt gehalten. |
| 100 | |
| 101 | Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive der |
| 102 | Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von |
| 103 | urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser |
| 104 | neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache |
| 105 | Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass |
| 106 | hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie |
| 107 | „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen |
| 108 | seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten |
| 109 | Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher |
| 110 | Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit |
| 111 | unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch |
| 112 | nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den |
| 113 | Schutzinteressen von Rechteinhabern und den |
| 114 | Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten |
| 115 | von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. |
| 116 | |
| 117 | In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen |
| 118 | zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes |
| 119 | Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und |
| 120 | nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während |
| 121 | der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln |
| 122 | in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, unterscheidet |
| 123 | das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur zwischen privat |
| 124 | und öffentlich. Den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten wird |
| 125 | dies nicht mehr gerecht, und auch der vermeintliche oder |
| 126 | tatsächliche Schaden für die Rechteinhaber lässt sich ohne |
| 127 | eine solche Differenzierung kaum sinnvoll abschätzen. |
| 128 | |
| 129 | Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter |
| 130 | |
| 131 | Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und |
| 132 | Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische |
| 133 | Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur |
| 134 | Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den |
| 135 | verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen |
| 136 | herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer |
| 137 | verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die |
| 138 | Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 |
| 139 | GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. |
| 140 | |
| 141 | Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht der |
| 142 | Europäischen Union gebunden; so sind die |
| 143 | Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim |
| 144 | Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen |
| 145 | Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter |
| 146 | Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in |
| 147 | der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend |
| 148 | geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt |
| 149 | die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht |
| 150 | erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. |
| 151 | |
| 152 | Nach der wohl herrschenden Auffassung in der |
| 153 | Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen |
| 154 | grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, |
| 155 | dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung |
| 156 | zugrunde zu legen ist. |
| 157 | |
| 158 | In der politischen sowie der Fachdiskussion sind |
| 159 | Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der |
| 160 | Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht für |
| 161 | Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu aller |
| 162 | maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen und |
| 163 | vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine allgemeine |
| 164 | Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht |
| 165 | einzuführen. Diese könnte die bisherigen kleinteiligen und |
| 166 | höchst komplizierten Schrankenlösungen, zum Beispiel in den |
| 167 | Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a ersetzen. Auf europäsicher |
| 168 | Ebene ist seit Längerem eine Schranke für derivatives |
| 169 | Werkschaffen im Zusammenhang mit user-generated content im |
| 170 | Gespräch, durch die Remixes und Mash-ups entkriminalisiert |
| 171 | werden könnten. Last, not least legen die obigen |
| 172 | Ausführungen zur zunehmend problematischen Trennung von |
| 173 | Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, Schranken für |
| 174 | bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten einzuführen. |
| 175 | |
| 176 | Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der |
| 177 | „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und |
| 178 | weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung |
| 179 | zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem |
| 180 | Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher |
| 181 | eingegangen. |
| 182 | |
| 183 | Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische |
| 184 | System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts |
| 185 | raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher |
| 186 | generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. |
| 187 | Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen |
| 188 | Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die allerdings |
| 189 | über unterschiedliche „Tests“ wiederum Teilregelungen kennt, |
| 190 | die schrankenartigen Charakter haben. Es bleibt die |
| 191 | Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in den USA |
| 192 | größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und damit die |
| 193 | übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich welche |
| 194 | Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht erarbeitet |
| 195 | werden können. |
| 196 | Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein |
| 197 | gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre |
| 198 | beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend |
| 199 | aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie |
| 200 | vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten |
| 201 | Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, |
| 202 | die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. |
| 203 | |
| 204 | Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der |
| 205 | (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen |
| 206 | Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher |
| 207 | langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige |
| 208 | Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten |
| 209 | gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung der |
| 210 | Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen hinterher, |
| 211 | anstatt durch weiter gefasste Formulierung und Vorgabe von |
| 212 | Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. |
| 213 | |
| 214 | Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder |
| 215 | eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den |
| 216 | Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer |
| 217 | Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf |
| 218 | Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen |
| 219 | (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen |
| 220 | Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang |
| 221 | von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein |
| 222 | Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis |
| 223 | zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten |
| 224 | Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das |
| 225 | Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen |
| 226 | Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem |
| 227 | privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich |
| 228 | nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an |
| 229 | dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen |
| 230 | hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern |
| 231 | in privater Hand. |
| 232 | |
| 233 | Rechtsdurchsetzung |
| 234 | |
| 235 | Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung |
| 236 | |
| 237 | Sehr deutlich werden die unterschiedlichen |
| 238 | Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die |
| 239 | Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen |
| 240 | immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige |
| 241 | manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz |
| 242 | und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts |
| 243 | an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der |
| 244 | Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt |
| 245 | oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei |
| 246 | Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach |
| 247 | einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf |
| 248 | ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: |
| 249 | |
| 250 | - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht |
| 251 | gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln im |
| 252 | Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den rechtlichen |
| 253 | Normen des Immaterialgüterrechts stehen. Vorschläge der |
| 254 | Medienkompetenzförderung gerade in diesem Gebiet und auch an |
| 255 | Internetnutzer versandte „Warnungen“ können in diese |
| 256 | Richtung deuten. Studien belegen, dass auch Struktur und |
| 257 | Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen auf die |
| 258 | Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer richten |
| 259 | (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit |
| 260 | Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) |
| 261 | einhergehen. |
| 262 | |
| 263 | - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der |
| 264 | Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu |
| 265 | sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit |
| 266 | ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa |
| 267 | die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz |
| 268 | erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für |
| 269 | Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- |
| 270 | und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind |
| 271 | und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine |
| 272 | Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von |
| 273 | Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von |
| 274 | Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher |
| 275 | gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das |
| 276 | Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich nicht |
| 277 | auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische Merkmale |
| 278 | stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der unlängst |
| 279 | bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario Sixtus, dessen |
| 280 | Videos gegen seinen eigenen Willen auf Betreiben der |
| 281 | Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen |
| 282 | (GVU) von verschiedenen Videoportalen gelöscht wurden, hat |
| 283 | dies eindrücklich verdeutlicht. |
| 284 | |
| 285 | - Schließlich können auch die Erleichterung der rechtlichen |
| 286 | Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie abschreckende |
| 287 | Sanktionen eine Reaktion auf Durchsetzungsdefizite sein. |
| 288 | |
| 289 | - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche |
| 290 | Grundlage, Internetnutzer, die gegen |
| 291 | immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom Internet |
| 292 | abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu verlangsamen |
| 293 | („Three Strikes and out“). Dass das französische |
| 294 | Verfassungsgericht die erste Fassung dieses Gesetzes mit |
| 295 | Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten und das |
| 296 | verfassungsrechtlich geschützte Interesse am Internetzugang |
| 297 | kritisiert hat, macht die Probleme einer solchen Regelung |
| 298 | deutlich, die – soweit ersichtlich – in Deutschland auch von |
| 299 | den Rechteinhabern nicht gefordert wird. |
| 300 | |
| 301 | Rechtsdurchsetzung und Intermediäre |
| 302 | |
| 303 | Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, |
| 304 | dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg |
| 305 | zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer |
| 306 | treten (Intermediäre). |
| 307 | |
| 308 | Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler |
| 309 | (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter |
| 310 | (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den |
| 311 | Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative |
| 312 | Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den |
| 313 | Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale Dritte“ |
| 314 | nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den Blick treten |
| 315 | oder auch von illegalem Datenverkehr profitieren, ist |
| 316 | umstritten. Ob und wie sie in ein System der |
| 317 | Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine |
| 318 | zentrale Frage. |
| 319 | |
| 320 | Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und |
| 321 | fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind |
| 322 | Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das |
| 323 | Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen |
| 324 | transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden |
| 325 | (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten |
| 326 | Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, |
| 327 | würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um |
| 328 | auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen |
| 329 | einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu |
| 330 | kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu |
| 331 | beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor geöffnet. |
| 332 | Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf eine |
| 333 | Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. Denn |
| 334 | während die Löschung oder Blockierung von illegalen Inhalten |
| 335 | derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden muss, |
| 336 | müssten dann die Provider selbst handeln - die |
| 337 | Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im |
| 338 | Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht |
| 339 | wünschenswert. |
| 340 | |
| 341 | Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa |
| 342 | Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu |
| 343 | veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar |
| 344 | traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung |
| 345 | treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in |
| 346 | der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit |
| 347 | allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer |
| 348 | bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich profitieren |
| 349 | (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat in 2010 eine |
| 350 | täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird in der |
| 351 | wissenschaftlichen Literatur allerdings auch kritisiert |
| 352 | (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen zwischen |
| 353 | Rechteinhabern und Plattformbetreibern über |
| 354 | Vergütungsmodelle. |
| 355 | |
| 356 | Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, |
| 357 | die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf ihre Nutzer |
| 358 | abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise |
| 359 | Videoplattformen für urheberrechtsverletzende |
| 360 | Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie |
| 361 | nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich darüber |
| 362 | in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint es, |
| 363 | ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus schlüssig, |
| 364 | dass Unternehmen, die lediglich eine Dienstleistung |
| 365 | anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende Handlungen |
| 366 | ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. Andererseits |
| 367 | folgt daraus in der Praxis eine hohe Rechtsunsicherheit, da |
| 368 | die Anbieter ohne juristische Prüfung letztlich gar nicht |
| 369 | beurteilen können, ob entsprechende Hinweise tatsächlich |
| 370 | berechtigt sind. Auch hier droht also die Gefahr einer |
| 371 | letztlich willkürlichen privatwirtschaftlichen Regulierung. |
| 372 | |
| 373 | Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie |
| 374 | Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content so |
| 375 | gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch den |
| 376 | Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung |
| 377 | aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf |
| 378 | hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online |
| 379 | publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig |
| 380 | noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen |
| 381 | Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass |
| 382 | dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht |
| 383 | möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema |
| 384 | durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen |
| 385 | wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.) |
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