1 | Neue Regelungsansätze im Urheberrecht |
2 | |
3 | Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit |
4 | sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. |
5 | wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden |
6 | muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft |
7 | gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der |
8 | Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer |
9 | weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich |
10 | unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption |
11 | vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges |
12 | Eigentum). |
13 | |
14 | Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen |
15 | Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus |
16 | sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann |
17 | und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht |
18 | oder aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, |
19 | diese Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund |
20 | (aber keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des |
21 | Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen |
22 | konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen |
23 | einige gewichtige im Folgenden dargestellt werden. |
24 | |
25 | Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des |
26 | Immaterialgüterrechts |
27 | |
28 | Neujustierung des Interessenausgleichs |
29 | |
30 | Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die |
31 | ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, |
32 | angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern |
33 | immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen |
34 | anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem |
35 | Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen |
36 | Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen |
37 | Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen |
38 | Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom |
39 | Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. |
40 | |
41 | Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption |
42 | des Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das |
43 | Interesse an einer Werknutzung als eigenständiges – oder |
44 | sogar mit dem Interesse des Schutzes des Schöpfers |
45 | gleichwertiges – Interesse in die Konzeption eingezogen |
46 | wird (etwa der ehem. Hamburger Justizsenator Steffen). |
47 | |
48 | Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege |
49 | für die strukturellen Veränderungen im Bereich der |
50 | Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen |
51 | Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass |
52 | ein Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa |
53 | sehr wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche |
54 | Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht |
55 | entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of |
56 | digital content, 2009, Rz. 148 ff.]. |
57 | |
58 | In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine |
59 | stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach |
60 | unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen |
61 | Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter |
62 | dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes |
63 | Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa |
64 | Grosheide). |
65 | |
66 | Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits |
67 | solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es |
68 | bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner |
69 | Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich |
70 | eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der |
71 | Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für |
72 | Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden |
73 | dieses Spektrum erweitern. |
74 | |
75 | Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für |
76 | andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von |
77 | Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. |
78 | |
79 | Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines |
80 | Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen |
81 | Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine |
82 | Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist |
83 | mehr als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten |
84 | zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die |
85 | Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür |
86 | ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, |
87 | auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine |
88 | Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits |
89 | feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form |
90 | von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, |
91 | massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich |
92 | andererseits diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. |
93 | Ähnlich dem Vorgang, den Jürgen Habermas einst als |
94 | Strukturwandel der Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich |
95 | im Netz neue Teilbereiche von Öffentlichkeit |
96 | herausgebildet, die subjektiv als privat empfunden werden, |
97 | juristisch jedoch nach wie vor dem Bereich der |
98 | Öffentlichkeit zugerechnet werden. Das Recht hat also mit |
99 | diesem neuen Strukturwandel nicht Schritt gehalten. |
100 | |
101 | Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive |
102 | der Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von |
103 | urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser |
104 | neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache |
105 | Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass |
106 | hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie |
107 | „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen |
108 | seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten |
109 | Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher |
110 | Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit |
111 | unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch |
112 | nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den |
113 | Schutzinteressen von Rechteinhabern und den |
114 | Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten |
115 | von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. |
116 | |
117 | In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen |
118 | zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes |
119 | Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und |
120 | nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während |
121 | der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln |
122 | in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, |
123 | unterscheidet das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur |
124 | zwischen privat und öffentlich. Den tatsächlichen |
125 | Nutzungsgewohnheiten wird dies nicht mehr gerecht, und auch |
126 | der vermeintliche oder tatsächliche Schaden für die |
127 | Rechteinhaber lässt sich ohne eine solche Differenzierung |
128 | kaum sinnvoll abschätzen. |
129 | |
130 | Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter |
131 | |
132 | Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und |
133 | Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische |
134 | Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur |
135 | Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den |
136 | verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen |
137 | herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer |
138 | verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die |
139 | Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. |
140 | 1 GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. |
141 | |
142 | Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht |
143 | der Europäischen Union gebunden; so sind die |
144 | Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim |
145 | Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen |
146 | Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter |
147 | Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte |
148 | in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend |
149 | geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt |
150 | die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht |
151 | erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. |
152 | |
153 | Nach der wohl herrschenden Auffassung in der |
154 | Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen |
155 | grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, |
156 | dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung |
157 | zugrunde zu legen ist. |
158 | |
159 | In der politischen sowie der Fachdiskussion sind |
160 | Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der |
161 | Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht |
162 | für Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu |
163 | aller maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen |
164 | und vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine |
165 | allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im |
166 | Urheberrecht einzuführen. Diese könnte die bisherigen |
167 | kleinteiligen und höchst komplizierten Schrankenlösungen, |
168 | zum Beispiel in den Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a |
169 | ersetzen. Auf europäsicher Ebene ist seit Längerem eine |
170 | Schranke für derivatives Werkschaffen im Zusammenhang mit |
171 | user-generated content im Gespräch, durch die Remixes und |
172 | Mash-ups entkriminalisiert werden könnten. Last, not least |
173 | legen die obigen Ausführungen zur zunehmend problematischen |
174 | Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, |
175 | Schranken für bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten |
176 | einzuführen. |
177 | |
178 | Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der |
179 | „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und |
180 | weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung |
181 | zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem |
182 | Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher |
183 | eingegangen. |
184 | |
185 | Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische |
186 | System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts |
187 | raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher |
188 | generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. |
189 | Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen |
190 | Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die |
191 | allerdings über unterschiedliche „Tests“ wiederum |
192 | Teilregelungen kennt, die schrankenartigen Charakter haben. |
193 | Es bleibt die Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in |
194 | den USA größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und |
195 | damit die übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich |
196 | welche Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht |
197 | erarbeitet werden können. |
198 | Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein |
199 | gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre |
200 | beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend |
201 | aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie |
202 | vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten |
203 | Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, |
204 | die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. |
205 | |
206 | Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der |
207 | (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen |
208 | Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher |
209 | langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige |
210 | Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten |
211 | gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung |
212 | der Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen |
213 | hinterher, anstatt durch weiter gefasste Formulierung und |
214 | Vorgabe von Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. |
215 | |
216 | Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder |
217 | eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den |
218 | Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer |
219 | Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf |
220 | Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen |
221 | (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen |
222 | Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang |
223 | von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein |
224 | Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis |
225 | zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten |
226 | Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das |
227 | Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen |
228 | Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem |
229 | privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich |
230 | nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an |
231 | dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen |
232 | hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern |
233 | in privater Hand. |
234 | |
235 | Rechtsdurchsetzung |
236 | |
237 | Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung |
238 | |
239 | Sehr deutlich werden die unterschiedlichen |
240 | Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die |
241 | Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen |
242 | immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige |
243 | manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz |
244 | und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts |
245 | an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der |
246 | Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt |
247 | oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei |
248 | Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach |
249 | einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf |
250 | ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: |
251 | |
252 | - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht |
253 | gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln |
254 | im Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den |
255 | rechtlichen Normen des Immaterialgüterrechts stehen. |
256 | Vorschläge der Medienkompetenzförderung gerade in diesem |
257 | Gebiet und auch an Internetnutzer versandte „Warnungen“ |
258 | können in diese Richtung deuten. Studien belegen, dass auch |
259 | Struktur und Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen |
260 | auf die Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer |
261 | richten (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit |
262 | Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) |
263 | einhergehen. |
264 | |
265 | - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der |
266 | Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu |
267 | sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit |
268 | ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa |
269 | die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz |
270 | erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für |
271 | Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- |
272 | und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind |
273 | und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine |
274 | Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von |
275 | Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von |
276 | Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher |
277 | gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das |
278 | Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich |
279 | nicht auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische |
280 | Merkmale stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der |
281 | unlängst bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario |
282 | Sixtus, dessen Videos gegen seinen eigenen Willen auf |
283 | Betreiben der Gesellschaft zur Verfolgung von |
284 | Urheberrechtsverletzungen (GVU) von verschiedenen |
285 | Videoportalen gelöscht wurden, hat dies eindrücklich |
286 | verdeutlicht. |
287 | |
288 | - Schließlich können auch die Erleichterung der |
289 | rechtlichen Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie |
290 | abschreckende Sanktionen eine Reaktion auf |
291 | Durchsetzungsdefizite sein. |
292 | |
293 | - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche |
294 | Grundlage, Internetnutzer, die gegen |
295 | immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom |
296 | Internet abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu |
297 | verlangsamen („Three Strikes and out“). Dass das |
298 | französische Verfassungsgericht die erste Fassung dieses |
299 | Gesetzes mit Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten |
300 | und das verfassungsrechtlich geschützte Interesse am |
301 | Internetzugang kritisiert hat, macht die Probleme einer |
302 | solchen Regelung deutlich, die – soweit ersichtlich – in |
303 | Deutschland auch von den Rechteinhabern nicht gefordert |
304 | wird. |
305 | |
306 | Rechtsdurchsetzung und Intermediäre |
307 | |
308 | Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, |
309 | dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg |
310 | zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer |
311 | treten (Intermediäre). |
312 | |
313 | Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler |
314 | (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter |
315 | (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den |
316 | Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative |
317 | Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den |
318 | Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale |
319 | Dritte“ nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den |
320 | Blick treten oder auch von illegalem Datenverkehr |
321 | profitieren, ist umstritten. Ob und wie sie in ein System |
322 | der Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine |
323 | zentrale Frage. |
324 | |
325 | Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und |
326 | fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind |
327 | Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das |
328 | Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen |
329 | transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden |
330 | (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten |
331 | Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, |
332 | würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um |
333 | auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen |
334 | einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu |
335 | kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu |
336 | beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor |
337 | geöffnet. Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf |
338 | eine Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. |
339 | Denn während die Löschung oder Blockierung von illegalen |
340 | Inhalten derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden |
341 | muss, müssten dann die Provider selbst handeln - die |
342 | Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im |
343 | Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht |
344 | wünschenswert. |
345 | |
346 | Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa |
347 | Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu |
348 | veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar |
349 | traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung |
350 | treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in |
351 | der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit |
352 | allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer |
353 | bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich |
354 | profitieren (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat |
355 | in 2010 eine täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird |
356 | in der wissenschaftlichen Literatur allerdings auch |
357 | kritisiert (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen |
358 | zwischen Rechteinhabern und Plattformbetreibern über |
359 | Vergütungsmodelle. |
360 | |
361 | Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf |
362 | ausgesetzt, die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf |
363 | ihre Nutzer abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise |
364 | Videoplattformen für urheberrechtsverletzende |
365 | Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn |
366 | sie nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich |
367 | darüber in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint |
368 | es, ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus |
369 | schlüssig, dass Unternehmen, die lediglich eine |
370 | Dienstleistung anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende |
371 | Handlungen ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. |
372 | Andererseits folgt daraus in der Praxis eine hohe |
373 | Rechtsunsicherheit, da die Anbieter ohne juristische |
374 | Prüfung letztlich gar nicht beurteilen können, ob |
375 | entsprechende Hinweise tatsächlich berechtigt sind. Auch |
376 | hier droht also die Gefahr einer letztlich willkürlichen |
377 | privatwirtschaftlichen Regulierung. |
378 | |
379 | Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie |
380 | Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content |
381 | so gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch |
382 | den Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung |
383 | aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf |
384 | hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online |
385 | publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig |
386 | noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen |
387 | Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass |
388 | dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht |
389 | möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema |
390 | durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen |
391 | wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.) |
392 | |
393 |
1-4 von 4
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1.10 (Neue Regelungsansätze) (Originalversion)
von EnqueteWiMi3, angelegtDiese Version hat keinen Text. -
1.10 (Neue Regelungsansätze) (Originalversion)
von EnqueteWiMi3, angelegt -
1.10 (Neue Regelungsansätze) (Originalversion)
von EnqueteWiMi3, angelegt1 Neue Regelungsansätze im Urheberrecht 2 3 Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit 4 sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. 5 wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden 6 muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft 7 gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der 8 Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer 9 weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich 10 unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption 11 vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges 12 Eigentum). 13 14 Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen 15 Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus 16 sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann 17 und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht 18 oder aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, 19 diese Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund 20 (aber keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des 21 Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen 22 konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen 23 einige gewichtige im Folgenden dargestellt werden. 24 25 Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des 26 Immaterialgüterrechts 27 28 Neujustierung des Interessenausgleichs 29 30 Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die 31 ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, 32 angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern 33 immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen 34 anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem 35 Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen 36 Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen 37 Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen 38 Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom 39 Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. 40 41 Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption 42 des Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das 43 Interesse an einer Werknutzung als eigenständiges – oder 44 sogar mit dem Interesse des Schutzes des Schöpfers 45 gleichwertiges – Interesse in die Konzeption eingezogen 46 wird (etwa der ehem. Hamburger Justizsenator Steffen). 47 48 Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege 49 für die strukturellen Veränderungen im Bereich der 50 Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen 51 Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass 52 ein Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa 53 sehr wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche 54 Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht 55 entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of 56 digital content, 2009, Rz. 148 ff.]. 57 58 In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine 59 stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach 60 unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen 61 Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter 62 dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes 63 Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa 64 Grosheide). 65 66 Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits 67 solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es 68 bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner 69 Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich 70 eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der 71 Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für 72 Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden 73 dieses Spektrum erweitern. 74 75 Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für 76 andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von 77 Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. 78 79 Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines 80 Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen 81 Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine 82 Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist 83 mehr als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten 84 zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die 85 Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür 86 ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, 87 auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine 88 Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits 89 feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form 90 von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, 91 massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich 92 andererseits diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. 93 Ähnlich dem Vorgang, den Jürgen Habermas einst als 94 Strukturwandel der Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich 95 im Netz neue Teilbereiche von Öffentlichkeit 96 herausgebildet, die subjektiv als privat empfunden werden, 97 juristisch jedoch nach wie vor dem Bereich der 98 Öffentlichkeit zugerechnet werden. Das Recht hat also mit 99 diesem neuen Strukturwandel nicht Schritt gehalten. 100 101 Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive 102 der Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von 103 urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser 104 neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache 105 Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass 106 hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie 107 „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen 108 seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten 109 Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher 110 Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit 111 unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch 112 nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den 113 Schutzinteressen von Rechteinhabern und den 114 Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten 115 von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. 116 117 In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen 118 zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes 119 Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und 120 nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während 121 der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln 122 in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, 123 unterscheidet das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur 124 zwischen privat und öffentlich. Den tatsächlichen 125 Nutzungsgewohnheiten wird dies nicht mehr gerecht, und auch 126 der vermeintliche oder tatsächliche Schaden für die 127 Rechteinhaber lässt sich ohne eine solche Differenzierung 128 kaum sinnvoll abschätzen. 129 130 Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter 131 132 Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und 133 Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische 134 Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur 135 Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den 136 verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen 137 herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer 138 verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die 139 Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 140 1 GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. 141 142 Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht 143 der Europäischen Union gebunden; so sind die 144 Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim 145 Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen 146 Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter 147 Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte 148 in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend 149 geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt 150 die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht 151 erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. 152 153 Nach der wohl herrschenden Auffassung in der 154 Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen 155 grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, 156 dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung 157 zugrunde zu legen ist. 158 159 In der politischen sowie der Fachdiskussion sind 160 Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der 161 Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht 162 für Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu 163 aller maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen 164 und vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine 165 allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im 166 Urheberrecht einzuführen. Diese könnte die bisherigen 167 kleinteiligen und höchst komplizierten Schrankenlösungen, 168 zum Beispiel in den Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a 169 ersetzen. Auf europäsicher Ebene ist seit Längerem eine 170 Schranke für derivatives Werkschaffen im Zusammenhang mit 171 user-generated content im Gespräch, durch die Remixes und 172 Mash-ups entkriminalisiert werden könnten. Last, not least 173 legen die obigen Ausführungen zur zunehmend problematischen 174 Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, 175 Schranken für bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten 176 einzuführen. 177 178 Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der 179 „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und 180 weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung 181 zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem 182 Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher 183 eingegangen. 184 185 Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische 186 System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts 187 raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher 188 generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. 189 Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen 190 Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die 191 allerdings über unterschiedliche „Tests“ wiederum 192 Teilregelungen kennt, die schrankenartigen Charakter haben. 193 Es bleibt die Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in 194 den USA größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und 195 damit die übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich 196 welche Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht 197 erarbeitet werden können. 198 Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein 199 gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre 200 beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend 201 aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie 202 vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten 203 Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, 204 die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. 205 206 Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der 207 (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen 208 Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher 209 langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige 210 Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten 211 gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung 212 der Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen 213 hinterher, anstatt durch weiter gefasste Formulierung und 214 Vorgabe von Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. 215 216 Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder 217 eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den 218 Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer 219 Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf 220 Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen 221 (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen 222 Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang 223 von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein 224 Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis 225 zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten 226 Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das 227 Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen 228 Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem 229 privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich 230 nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an 231 dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen 232 hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern 233 in privater Hand. 234 235 Rechtsdurchsetzung 236 237 Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung 238 239 Sehr deutlich werden die unterschiedlichen 240 Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die 241 Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen 242 immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige 243 manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz 244 und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts 245 an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der 246 Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt 247 oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei 248 Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach 249 einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf 250 ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: 251 252 - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht253 gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln 254 im Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den 255 rechtlichen Normen des Immaterialgüterrechts stehen. 256 Vorschläge der Medienkompetenzförderung gerade in diesem 257 Gebiet und auch an Internetnutzer versandte „Warnungen“ 258 können in diese Richtung deuten. Studien belegen, dass auch 259 Struktur und Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen 260 auf die Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer 261 richten (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit 262 Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) 263 einhergehen. 264 265 - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der 266 Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu 267 sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit 268 ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa 269 die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz 270 erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für 271 Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- 272 und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind 273 und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine 274 Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von 275 Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von 276 Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher 277 gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das 278 Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich 279 nicht auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische 280 Merkmale stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der 281 unlängst bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario 282 Sixtus, dessen Videos gegen seinen eigenen Willen auf 283 Betreiben der Gesellschaft zur Verfolgung von 284 Urheberrechtsverletzungen (GVU) von verschiedenen 285 Videoportalen gelöscht wurden, hat dies eindrücklich 286 verdeutlicht. 287 288 - Schließlich können auch die Erleichterung der 289 rechtlichen Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie 290 abschreckende Sanktionen eine Reaktion auf 291 Durchsetzungsdefizite sein. 292 293 - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche 294 Grundlage, Internetnutzer, die gegen 295 immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom 296 Internet abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu 297 verlangsamen („Three Strikes and out“). Dass das 298 französische Verfassungsgericht die erste Fassung dieses 299 Gesetzes mit Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten 300 und das verfassungsrechtlich geschützte Interesse am 301 Internetzugang kritisiert hat, macht die Probleme einer 302 solchen Regelung deutlich, die – soweit ersichtlich – in 303 Deutschland auch von den Rechteinhabern nicht gefordert 304 wird. 305 306 Rechtsdurchsetzung und Intermediäre 307 308 Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, 309 dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg 310 zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer 311 treten (Intermediäre). 312 313 Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler 314 (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter 315 (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den 316 Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative 317 Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den 318 Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale 319 Dritte“ nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den 320 Blick treten oder auch von illegalem Datenverkehr 321 profitieren, ist umstritten. Ob und wie sie in ein System 322 der Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine 323 zentrale Frage. 324 325 Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und 326 fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind 327 Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das 328 Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen 329 transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden 330 (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten 331 Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, 332 würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um 333 auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen 334 einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu 335 kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu 336 beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor 337 geöffnet. Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf 338 eine Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. 339 Denn während die Löschung oder Blockierung von illegalen 340 Inhalten derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden 341 muss, müssten dann die Provider selbst handeln - die 342 Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im 343 Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht 344 wünschenswert. 345 346 Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa 347 Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu 348 veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar 349 traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung 350 treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in 351 der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit 352 allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer 353 bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich 354 profitieren (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat 355 in 2010 eine täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird 356 in der wissenschaftlichen Literatur allerdings auch 357 kritisiert (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen 358 zwischen Rechteinhabern und Plattformbetreibern über 359 Vergütungsmodelle. 360 361 Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf 362 ausgesetzt, die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf 363 ihre Nutzer abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise 364 Videoplattformen für urheberrechtsverletzende 365 Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn 366 sie nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich 367 darüber in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint 368 es, ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus 369 schlüssig, dass Unternehmen, die lediglich eine 370 Dienstleistung anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende 371 Handlungen ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. 372 Andererseits folgt daraus in der Praxis eine hohe 373 Rechtsunsicherheit, da die Anbieter ohne juristische 374 Prüfung letztlich gar nicht beurteilen können, ob 375 entsprechende Hinweise tatsächlich berechtigt sind. Auch 376 hier droht also die Gefahr einer letztlich willkürlichen 377 privatwirtschaftlichen Regulierung. 378 379 Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie 380 Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content 381 so gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch 382 den Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung 383 aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf 384 hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online 385 publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig 386 noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen 387 Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass 388 dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht 389 möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema 390 durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen 391 wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.) -
1.10 (Neue Regelungsansätze) (Originalversion)
von EnqueteWiMi3, angelegt1 Neue Regelungsansätze im Urheberrecht 2 3 Derzeit wird in der politischen und der Fachöffentlichkeit 4 sehr grundsätzlich über die Frage gestritten, ob und ggf. 5 wie das Immaterialgüterrecht konzeptionell verändert werden 6 muss, um den Herausforderungen der Wissensgesellschaft 7 gewachsen zu sein. Die Debatte ist eng verbunden mit der 8 Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer 9 weiter sachgerecht ist oder eine eher an dem Ausgleich 10 unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption 11 vorzugswürdig erscheint (s.o. zum Begriff geistiges 12 Eigentum). 13 14 Ein Anlass für das Nachdenken ist, dass einige einen 15 Akzeptanzverlust des Urheberrechts beobachten und daraus 16 sogar eine Legitimationskrise ableiten (vgl. etwa Lehmann 17 und Hansen). Andere sehen diese Akzeptanzprobleme nicht 18 oder aber sie betonen, dass Aufgabe der Politik sein müsse, 19 diese Akzeptanz wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund 20 (aber keineswegs immer unter Bezug auf die Ziele des 21 Immaterialgüterrechts) werden auf unterschiedlichen Ebenen 22 konzeptionelle Veränderungen vorgeschlagen, von denen 23 einige gewichtige im Folgenden dargestellt werden. 24 25 Ansätze zur Veränderung der Grundkonzeption des 26 Immaterialgüterrechts 27 28 Neujustierung des Interessenausgleichs 29 30 Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Konzeption, die 31 ursprünglich für künstlerische Schöpfungen gedacht war, 32 angesichts der Veränderung der Produktion von Kreativgütern 33 immer stärker auch auf technisch-funktionale Werkformen 34 anwendbar ist, kommen wissenschaftliche Überlegungen zu dem 35 Schluss, stärker zwischen dem ideellen und materiellen 36 Schutz zu unterscheiden (Kreutzer). Mit einer solchen 37 Konzeption wäre jedenfalls im Bereich des materiellen 38 Schutzes eine tendenzielle Verschiebung der Perspektive vom 39 Schutz des Urhebers zum Schutz des Erzeugnisses verbunden. 40 41 Parallel dazu existieren Überlegungen, in die Konzeption 42 des Immaterialgüterrechts einzuschreiben, dass das 43 Interesse an einer Werknutzung als eigenständiges – oder 44 sogar mit dem Interesse des Schutzes des Schöpfers 45 gleichwertiges – Interesse in die Konzeption eingezogen 46 wird (etwa der ehem. Hamburger Justizsenator Steffen). 47 48 Diesen Überlegungen wird entgegengehalten, dass sie Belege 49 für die strukturellen Veränderungen im Bereich der 50 Produktion von Kreativgütern schuldig bleiben, die einen 51 Konzeptwechsel rechtfertigen. Zudem wird angemerkt, dass 52 ein Akzeptanzverlust nicht zu beobachten sei (also etwa 53 sehr wohl auch Urheberrechtsverletzer häufig die rechtliche 54 Situation akzeptieren, aber dennoch eigennützig und nicht 55 entsprechend handeln) [Fußnote: Vgl. OECD, Piracy of 56 digital content, 2009, Rz. 148 ff.]. 57 58 In eine ähnliche Richtung gehen Vorschläge, die eine 59 stärkere Ausdifferenzierung des Urheberrechts nach 60 unterschiedlichen Werktypen und den damit verbundenen 61 Interessenlagen fordern. Wissenschaftlich wird dies unter 62 dem Stichwort „Modularisierung“ oder „Maßgeschneidertes 63 Urheberrecht (tailormade copyright)“ verhandelt (vgl. etwa 64 Grosheide). 65 66 Faktisch enthält das deutsche Immaterialgüterrecht bereits 67 solche maßgeschneiderten Lösungen. So gibt es 68 bereichsspezifische Schutzrechte in Form einzelner 69 Leistungsschutzrechte und eine Einzelaufzählung inhaltlich 70 eng begrenzter Schrankenbestimmungen. Vorschläge etwa der 71 Verleger im Hinblick auf ein neues, speziell für 72 Presseerzeugnisse geltendes Leistungsschutzrecht würden 73 dieses Spektrum erweitern. 74 75 Zu beobachten ist zudem, dass sich – auch mit Relevanz für 76 andere Rechtsbereiche – mit dem Aufkommen von 77 Internet-Kommunikation „Öffentlichkeit“ verändert hat. 78 79 Wenn beispielsweise ein Nutzer ein Foto seines 80 Lieblingsstars auf seiner Profilseite in einem sozialen 81 Netzwerk postet, begeht er damit im Zweifelsfall eine 82 Urheberrechtsverletzung. Vorausgesetzt, sein Profil ist 83 mehr als nur einer kleinen Zahl von persönlichen Bekannten 84 zugänglich, hätte er nach geltendem Recht nämlich die 85 Bildrechte beim Fotografen erwerben müssen. Der Grund dafür 86 ist, dass das Profil in diesem Fall als öffentlich gilt, 87 auch wenn der einzelne Nutzer es womöglich als reine 88 Privatangelegenheit empfindet. Während man also einerseits 89 feststellen kann, dass sich mit dem Internet eine neue Form 90 von Öffentlichkeit gebildet hat, die parallel zur „alten“, 91 massenmedialen Öffentlichkeit besteht, hat sich 92 andererseits diese Sphäre zugleich stark ausdifferenziert. 93 Ähnlich dem Vorgang, den Jürgen Habermas einst als 94 Strukturwandel der Öffentlichkeit bezeichnete, haben sich 95 im Netz neue Teilbereiche von Öffentlichkeit 96 herausgebildet, die subjektiv als privat empfunden werden, 97 juristisch jedoch nach wie vor dem Bereich der 98 Öffentlichkeit zugerechnet werden. Das Recht hat also mit 99 diesem neuen Strukturwandel nicht Schritt gehalten. 100 101 Dies führt zu erheblichen Problemen. Aus der Perspektive 102 der Rechteinhaber stellt die Veröffentlichung von 103 urheberrechtlich geschütztem Material im Kontext dieser 104 neuen, semi-privaten Öffentlichkeitsräume eine vielfache 105 Rechtsverletzung dar. Sie weisen etwa darauf hin, dass 106 hundertfache Kontakte in sozialen Netzwerken, auch wenn sie 107 „Freunde“ genannt werden, nicht der Privatsphäre zuzuordnen 108 seien. Dem wird entgegengehalten, dass solche „privaten 109 Öffentlichkeiten“ gleichwohl auch in urheberrechtlicher 110 Hinsicht von der alten, massenmedialen Öffentlichkeit 111 unterschieden werden müssten, wozu das Recht bislang noch 112 nicht in der Lage ist. Der Ausgleich zwischen den 113 Schutzinteressen von Rechteinhabern und den 114 Zugangsinteressen von Nutzern müsse für solche neuen Arten 115 von Öffentlichkeit anders ausgestaltet werden. 116 117 In engem Zusammenhang damit stehen Überlegungen, denen 118 zufolge ein für die digitale Gesellschaft zeitgemäßes 119 Urheberrecht stärker zwischen kommerziellen und 120 nicht-kommerziellen Nutzungen unterscheiden müsste. Während 121 der Unterschied zwischen privatem und gewerblichem Handeln 122 in anderen Rechtsgebieten extrem relevant ist, 123 unterscheidet das Urheberrecht im Großen und Ganzen nur 124 zwischen privat und öffentlich. Den tatsächlichen 125 Nutzungsgewohnheiten wird dies nicht mehr gerecht, und auch 126 der vermeintliche oder tatsächliche Schaden für die 127 Rechteinhaber lässt sich ohne eine solche Differenzierung 128 kaum sinnvoll abschätzen. 129 130 Schranken des Urheberrechts und Interessen Dritter 131 132 Nach der derzeitigen Konzeption des deutschen Urheber- und 133 Leistungsschutzrechts sind die Schranken der systematische 134 Ort, an dem Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zur 135 Geltung kommen. Sie bieten die Möglichkeit, auch den 136 verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich der Interessen 137 herzustellen, wenn etwa auf der Seite der Werknutzer 138 verfassungsrechtlich geschützte Positionen wie etwa die 139 Meinungsfreiheit oder die Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 140 1 GG für eine freie Zugänglichkeit streiten. 141 142 Der deutsche Gesetzgeber ist hier nicht zuletzt an Recht 143 der Europäischen Union gebunden; so sind die 144 Schrankenbestimmungen zur Ausnahme beim 145 Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen 146 Wiedergabe in der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter 147 Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte 148 in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) abschließend 149 geregelt. Allerdings ist auf europäischer Ebene wiederholt 150 die Frage aufgeworfen worden, ob diese Richtlinie nicht 151 erneut „aufgeschnürt“ und überarbeitet werden müsste. 152 153 Nach der wohl herrschenden Auffassung in der 154 Rechtswissenschaft sind die Schrankenbestimmungen 155 grundsätzlich eng auszulegen, wobei dies nicht bedeutet, 156 dass die jeweils urheberfreundlichste denkbare Auslegung 157 zugrunde zu legen ist. 158 159 In der politischen sowie der Fachdiskussion sind 160 Erweiterungen im Bereich des Schrankenkatalogs in der 161 Diskussion. So hat etwa das Aktionsbündnis „Urheberrecht 162 für Bildung und Wissenschaft“, ein Zusammenschluss nahezu 163 aller maßgeblichen deutschen Wissenschaftsorganisationen 164 und vieler renommierter Forscher, vorgeschlagen, eine 165 allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im 166 Urheberrecht einzuführen. Diese könnte die bisherigen 167 kleinteiligen und höchst komplizierten Schrankenlösungen, 168 zum Beispiel in den Paragraphen 52a, 52b, 53 und 53a 169 ersetzen. Auf europäsicher Ebene ist seit Längerem eine 170 Schranke für derivatives Werkschaffen im Zusammenhang mit 171 user-generated content im Gespräch, durch die Remixes und 172 Mash-ups entkriminalisiert werden könnten. Last, not least 173 legen die obigen Ausführungen zur zunehmend problematischen 174 Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre nahe, 175 Schranken für bestimmte nichtkommerzielle Nutzungsarten 176 einzuführen. 177 178 Insbesondere die mehrfach geänderte Schranke der 179 „Privatkopie“ ist für den Bereich des Internet relevant und 180 weiterhin hoch umstritten, ob sie in der aktuellen Fassung 181 zu einem sachgerechten Interessenausgleich führt. Unter dem 182 Punkt „Schranken“ wird auf diese Diskussion näher 183 eingegangen. 184 185 Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit das europäische 186 System eines abgeschlossenen Schrankenkatalogs angesichts 187 raschen Wandels von Nutzungsweisen nicht einem eher 188 generalklauselartig konstruierten System unterlegen ist. 189 Letzteres findet sich im anglo-amerikanischen 190 Copyrightsystem in Form der Fair-Use-Klausel, die 191 allerdings über unterschiedliche „Tests“ wiederum 192 Teilregelungen kennt, die schrankenartigen Charakter haben. 193 Es bleibt die Beobachtung, dass damit den Gerichten etwa in 194 den USA größerer Spielraum zur Anpassung verbleibt und 195 damit die übergeordnete Frage, auf welcher Ebene eigentlich 196 welche Fragen des Interessenausgleichs sachgerecht 197 erarbeitet werden können. 198 Indes geht mit derartigen Generalklauseln notwendig ein 199 gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher. Mittelweg wäre 200 beispielsweise eine Generalklausel mit nicht abschließend 201 aufgezählten Regelbeispielen, die eine gewisse Leitlinie 202 vorgeben. Dieser Weg wurde im Ansatz bei der letzten 203 Neuformulierung der Zitatschranke des § 51 UrhG verfolgt, 204 die insoweit für neu auftretende Zitatformen geöffnet wurde. 205 206 Insgesamt wirft dies die Frage auf, ob bei der 207 (Urheberrechts-) Gesetzgebung ein bewusst breiter Rahmen 208 Einzelfallregelungen vorgezogen werden sollte. Einer eher 209 langfristigen Gesetzgebung stehen derzeit sehr kurzfristige 210 Änderungen technischer und gesellschaftlicher Realitäten 211 gegenüber. So eilt die Gesetzgebung bei Weiterverfolgung 212 der Regelungen enger Einzelfälle ständig Neuerungen 213 hinterher, anstatt durch weiter gefasste Formulierung und 214 Vorgabe von Leitgedanken auch diese mit zu erfassen. 215 216 Neben der grundsätzlichen Frage einer eher flexiblen oder 217 eher einzelfallbezogenen Ausgestaltung stellt sich bei den 218 Schranken im digitalen Bereich stets auch die Frage ihrer 219 Durchsetzbarkeit: einerseits im Hinblick auf 220 Lizenzbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen 221 (siehe hierzu den Text zu privatwirtschaftlichen 222 Lizenzverträgen), andererseits im Hinblick auf den Vorrang 223 von technischen Schutzmaßnahmen. So kann beispielsweise ein 224 Kopierschutz, der nicht umgangen werden darf, in der Praxis 225 zu einer „Aushebelung“ der urheberrechtlich legitimierten 226 Privatkopie führen. Ebenfalls problematisch ist das 227 Verhältnis der Leistungsschutzrechte zu urheberrechtlichen 228 Schranken. Wenn etwa ein gemeinfreies Werk von einem 229 privaten Unternehmen digitalisiert wird, ist grundsätzlich 230 nicht ausgeschlossen, dass das betreffende Unternehmen an 231 dem Digitalisat neue Schutzrechte erwirbt. Kritiker sehen 232 hierin die Gefahr einer Remonopolisierung von Gemeingütern 233 in privater Hand. 234 235 Rechtsdurchsetzung 236 237 Verbesserung der Mechanismen der Rechtsdurchsetzung 238 239 Sehr deutlich werden die unterschiedlichen 240 Entwicklungsoptionen des Immaterialgüterrechts, wenn die 241 Diskussion um die Durchsetzung bei Verstößen gegen 242 immaterialgüterrechtliche Regelungen kreist. Für einige 243 manifestiert sich in den Verstößen die mangelnde Akzeptanz 244 und damit mangelnde Berechtigung des Immaterialgüterrechts 245 an der betreffenden Stelle. Konsequenter Weise muss auf der 246 Grundlage derartiger Positionen der Rechtsschutz verkürzt 247 oder die Schranken ausgeweitet werden. (Überblick bei 248 Schulz/Büchner). Auf der anderen Seite wird der Ruf nach 249 einer besseren Rechtsdurchsetzung laut, die wiederum auf 250 ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann: 251 252 - Eine Ebene ist, dass die Akzeptanz für das Urheberrecht 253 gestärkt wird und so die sozialen Normen, die das Handeln 254 im Netz prägen, wieder in Übereinstimmung mit den 255 rechtlichen Normen des Immaterialgüterrechts stehen. 256 Vorschläge der Medienkompetenzförderung gerade in diesem 257 Gebiet und auch an Internetnutzer versandte „Warnungen“ 258 können in diese Richtung deuten. Studien belegen, dass auch 259 Struktur und Bepreisung der legalen Angebote Auswirkungen 260 auf die Handlungsnormen haben, nach denen sich Nutzer 261 richten (IViR). Eine Freigabe von Nutzungsformen kann mit 262 Vergütungsregelungen (Stichwort „Kulturfaltrate“) 263 einhergehen. 264 265 - Ein weiterer Komplex der Verbesserung der 266 Rechtsdurchsetzung ist im Bereich techni-scher Maßnahmen zu 267 sehen Eine diskutierte (und genutzte) Reaktionsmöglichkeit 268 ist im Bereich technologischer Maßnahmen zu suchen, so etwa 269 die Implementation von Technologien, die Inhalte im Netz 270 erkennen können und entsprechend etwa die Grundlage für 271 Filterungen bilden. Dazu gehören Hashing-, Fingerprinting- 272 und Watermarking-Technologien, die bereits verfügbar sind 273 und geschützte Werke identifizierbar machen. Eine 274 Möglichkeit, die bereits bei der Verhinderung von 275 Rechtsverletzungen ansetzt, besteht in der Filterung von 276 Inhalten auf dieser technischen Grundlage. Damit einher 277 gingen jedoch notwendigerweise Eingriffe in das 278 Fernmeldegeheimnis. Zudem birgt ein Vorgehen, das sich 279 nicht auf Rechtsverhältnisse, sondern auf technische 280 Merkmale stützt, die Gefahr von Fehlern und Missbrauch. Der 281 unlängst bekannt gewordene Fall des Filmemachers Mario 282 Sixtus, dessen Videos gegen seinen eigenen Willen auf 283 Betreiben der Gesellschaft zur Verfolgung von 284 Urheberrechtsverletzungen (GVU) von verschiedenen 285 Videoportalen gelöscht wurden, hat dies eindrücklich 286 verdeutlicht. 287 288 - Schließlich können auch die Erleichterung der rechtlichen 289 Verfolgung und erhöhter Verfolgungsdruck sowie 290 abschreckende Sanktionen eine Reaktion auf 291 Durchsetzungsdefizite sein. 292 293 - In Frankreich und Großbritannien besteht die gesetzliche 294 Grundlage, Internetnutzer, die gegen 295 immaterialgüterrechtliche Regelungen verstoßen, vom 296 Internet abzuklemmen oder ihren Internetzugang zu 297 verlangsamen („Three Strikes and out“). Dass das 298 französische Verfassungsgericht die erste Fassung dieses 299 Gesetzes mit Blick auf mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten 300 und das verfassungsrechtlich geschützte Interesse am 301 Internetzugang kritisiert hat, macht die Probleme einer 302 solchen Regelung deutlich, die – soweit ersichtlich – in 303 Deutschland auch von den Rechteinhabern nicht gefordert 304 wird. 305 306 Rechtsdurchsetzung und Intermediäre 307 308 Charakteristisch für das technische Medium Internet ist es, 309 dass unterschiedliche Typen von Dienstleistern auf dem Weg 310 zwischen einem kommunikativen Inhalt und dem Endnutzer 311 treten (Intermediäre). 312 313 Dies sind zum einen die Zugangs-Vermittler 314 (Access-Provider), zum anderen die Diensteanbieter 315 (Service-Provider). Access-Provider, die zwischen den 316 Nutzern und dem Internet stehen, sind für viele regulative 317 Anliegen ins Blickfeld geraten, da sie wirksam in den 318 Datenverkehr eingreifen können. Ob sie als „neutrale 319 Dritte“ nur wegen ihrer Möglichkeit zum Eingriff in den 320 Blick treten oder auch von illegalem Datenverkehr 321 profitieren, ist umstritten. Ob und wie sie in ein System 322 der Rechtsdurchsetzung integriert werden sollten, ist eine 323 zentrale Frage. 324 325 Dabei werden nicht zuletzt datenschutz- und 326 fernmelderechtliche Antworten zu geben sein. Derzeit sind 327 Access-Provider nämlich mit gutem Grund durch das 328 Telemediengesetz davor geschützt, für die von ihnen 329 transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen zu werden 330 (Haftungsprivilegierung). Im Interesse einer verbesserten 331 Urheberrechtsdurchsetzung von dieser Regelung abzurücken, 332 würde die Neutralität der Access-Provider gefährden. Um 333 auszuschließen, dass sie für Urheberrechtsverletzungen 334 einstehen müssten, wären sie gezwungen, den Datenverkehr zu 335 kontrollieren und nach rechtlichen Gesichtspunkten zu 336 beurteilen. Damit wäre einer Vorzensur Tür und Tor 337 geöffnet. Außerdem würde eine solche Regelung faktisch auf 338 eine Privatisierung rechtsstaatlicher Gewalt hinauslaufen. 339 Denn während die Löschung oder Blockierung von illegalen 340 Inhalten derzeit auf juristischem Wege eingeleitet werden 341 muss, müssten dann die Provider selbst handeln - die 342 Rechtsdurchsetzung wäre damit in ihr Ermessen gestellt. Im 343 Interesse eines demokratischen Netzzugangs ist das nicht 344 wünschenswert. 345 346 Bei Diensteanbietern, also Plattformen, die - wie etwa 347 Youtube - Dritten die Möglichkeit geben, Inhalte zu 348 veröffentlichen, ohne dass sie selbst vergleichbar 349 traditionellen Medien eine Veröffentlichungsenstcheidung 350 treffen, ist die Frage einer urheberrechtlichen Haftung in 351 der Diskussion. Dass die Attraktivität der Plattform mit 352 allen auch illegalen Inhalten steigt, ist schwer 353 bestreitbar, so dass die Anbieter wirtschaftlich 354 profitieren (ob sie wollen oder nicht). Das LG Hamburg hat 355 in 2010 eine täterschaftliche Haftung angenommen, dies wird 356 in der wissenschaftlichen Literatur allerdings auch 357 kritisiert (Christiansen). Parallel laufen Verhandlungen 358 zwischen Rechteinhabern und Plattformbetreibern über 359 Vergütungsmodelle. 360 361 Diensteanbieter sehen sich zunehmend dem Vorwurf 362 ausgesetzt, die Verantwortung für Urheberrechtsverstöße auf 363 ihre Nutzer abzuwälzen. Tatsächlich können beispielsweise 364 Videoplattformen für urheberrechtsverletzende 365 Veröffentlichungen nur dann haftbar gemacht werden, wenn 366 sie nichts unternommen haben, nachdem sie nachweislich 367 darüber in Kenntnis gesetzt worden sind. Einerseits scheint 368 es, ähnlich wie bei den Access-Providern, durchaus 369 schlüssig, dass Unternehmen, die lediglich eine 370 Dienstleistung anbieten, nicht direkt für rechtsverletzende 371 Handlungen ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden. 372 Andererseits folgt daraus in der Praxis eine hohe 373 Rechtsunsicherheit, da die Anbieter ohne juristische 374 Prüfung letztlich gar nicht beurteilen können, ob 375 entsprechende Hinweise tatsächlich berechtigt sind. Auch 376 hier droht also die Gefahr einer letztlich willkürlichen 377 privatwirtschaftlichen Regulierung. 378 379 Langfristig sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie 380 Haftungsfragen im Zusammenhang mit user generated content 381 so gelöst werden können, dass weder den Unternehmen noch 382 den Nutzern eine unangemessene juristische Verantwortung 383 aufgebürdet wird. Womöglich wird diese Frage darauf 384 hinauslaufen, ob eine rechtssichere Zuordnung online 385 publizierter Inhalte an bestimmte Rechteinhaber langfristig 386 noch möglich sein wird, ohne den vollumfänglichen 387 Urheberrechtsschutz an eine Registrierung zu koppeln. Dass 388 dies kurzfristig aufgrund der Berner Übereinkunft nicht 389 möglich scheint, macht weitere Überlegungen zu diesem Thema 390 durchaus nicht überflüssig.(Im Text zu Vergütungsmodellen 391 wird erneut auf diese Frage zurückgegriffen.)