Papier: 1.05 (Schutzdauer)

Originalversion

1 Fragen der Schutzdauer
2
3 Bestandsaufnahme:
4 Mit der Urheberrechtsreform von 1964 wurden die
5 Schutzfristen auf 70 Jahre nach dem Tode der Urheber
6 ausgedehnt.
7
8 Hintergrund der Festlegung der Regelschutzdauer des § 64
9 UrhG auf 70 Jahre post mortem auctoris ist, dass man davon
10 ausgeht, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch nahe Angehörige
11 des Urhebers am Leben sind, welche die Rechte an vorhandenen
12 Werken wahrnehmen [Fußnote: Wandtke/Bullinger,
13 Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Auflage 2009, § 64 Rn.
14 1.].
15
16 Allerdings sind die Fristen der Urheberrechte und verwandten
17 Schutzrechte mittlerweile EU-weit geregelt, was den
18 Handlungsspielraum des deutschen Gesetzgebers in Bezug auf
19 Schutzfristverlängerungen oder –verkürzungen beträchtlich
20 einengt [Fußnote:
21 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:
22 32006L0116:DE:NOT].
23
24 So ist zu beachten, dass die gegenwärtigen Regelungen zur
25 Schutzdauer im Urhebergesetz auf der Richtlinie 93/98/EWG
26 des Rates der EU vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der
27 Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter
28 Schutzrechte („Schutzdauer-Richtlinie“) basieren, deren
29 Vorgaben bindend sind.
30
31 Die EU-Kommission und der Rechtsausschuss des EU-Parlaments
32 haben sich mit einem Richtlinienvorschlag für eine
33 Vollharmonisierung der Schutzfristen für
34 Leistungsschutzrechte auf 95 Jahre eingesetzt (Vorschlag
35 abrufbar unter
36 http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:200
37 8:0464:FIN:DE:PDF).
38 Schutzfristen begründen Verwertungsmonopole auf Zeit. Sie
39 sind hinsichtlich ihrer Dauer wichtige Instrumente zur
40 Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen Interessen
41 von Urhebern, Verwertern, Nutzern und Allgemeinheit.
42
43 Dies führt dazu, dass zwei, drei Generationen nach Ableben
44 des Urhebers oder der Urheberin das Werk der Allgemeinheit
45 immer noch nicht zugänglich gemacht werden kann, es sei
46 denn, die Rechteinhaber erteilen ihre Zustimmung.
47
48 „Beim hochpersönlichen Urheberrecht lockere sich nach dem
49 Tod des Urhebers mit Ablauf der Zeit immer mehr der
50 legitimierende Zusammenhang des Rechts mit dem
51 ursprünglichen Schöpfer des Werks und zwar auch hinsichtlich
52 der Verwertungsrechte, die sich nicht im Sinne einer
53 völligen Verselbständigung aus der Urheberbeziehung
54 herauslösen ließen. […] Je mehr Generationen
55 schutzberechtigt würden, umso mehr würden die Beziehungen
56 zum Urheber verblassen, umso größer werde die Zahl der
57 Berechtigten und desto mehr verliere die Fortdauer des
58 Schutzes ihre innere Berechtigung.“ [Fußnote: Fechner,
59 Frank: Geistiges Eigentum und Verfassung. Schöpferische
60 Leistungen unter dem Schutz des Grundgesetzes. Tübingen:
61 Mohr Siebeck 1999, S. 399. ]. Demgegenüber hebt die
62 Begründung der Anhänger der Immaterialgüterlehre auf die
63 Interessen der Allgemeinheit ab: „Das Interesse der
64 Allgemeinheit an einer Nutzung des geschaffenen Geistesgutes
65 überwiegt dieser Ansicht nach zumindest nach Ablauf einer
66 gewissen Zeit gegenüber den Interessen des Rechtsinhabers
67 bzw. seiner Erben an einer wirtschaftlichen Nutzung seines
68 geistigen Eigentums.[…]“ [Fußnote: Fechner, Frank: Geistiges
69 Eigentum und Verfassung. Schöpferische Leistungen unter dem
70 Schutz des Grundgesetzes. Tübingen: Mohr Siebeck 1999, S.
71 401.].
72
73 Diese Situation ist insbesondere für Archive und
74 Bibliotheken prekär, die sich mit ihrer Arbeit in
75 zunehmenden Grauzonen wiederfinden, wenn sie Werke
76 digitalisieren und der Allgemeinheit zugänglich machen
77 wollen.
78
79 Archive und Bibliotheken stehen bei der Digitalisierung
80 ihres Archivmaterials vor einer großen Herausforderung: Für
81 eine öffentliche Zugänglichmachung ihres digitalisierten
82 Materials brauchen sie die Zustimmung des Urhebers und
83 müssen dazu aufgrund der teils lange zurückreichenden
84 Schutzfristen oft in detektivischer Arbeit den
85 Rechtsnachfolger ermitteln. Wären die Schutzfristen kürzer,
86 könnte also mehr Material gemeinfrei zur Verfügung gestellt
87 werden. Bis dahin können Archive und Bibliotheken ihre
88 Exponate zwar gem. § 53 II Nr. 2 UrhG digitalisieren, aber
89 ohne die Zustimmung der Urheber oder eine Regelung zu den
90 verwaisten Werken eben nicht ausstellen [Fußnote: Für eine
91 ausführliche Darstellung dieser Thematik siehe „Digitale
92 Sicherung und Nutzbarkeit von Kulturgütern – Umgang mit
93 verwaisten Werken“].
94
95 Das geltende Urheberrechtssystem ist außerdem geprägt von
96 dem Umstand, dass es zwei Schutzinstrumente gibt, die
97 jeweils für sich durch relativ lange Schutzfristen
98 gekennzeichnet sind und kumulativ Anwendung finden können.
99
100 Die Schutzdauer für Urheber- und Leistungsschutzrechte ist
101 unterschiedlich lang und auch differenziert ausgestaltet. So
102 knüpft die Schutzdauer für das Urheberrecht an den Tod des
103 Autors an und geht darüber hinaus. Die Schutzdauer der
104 Leistungsschutzrechte beginnt demgegenüber ab der
105 Erstaufführung oder dem erstmaligen Erscheinen. Unter
106 Umständen können so auch noch viele Jahre nach dem Tod des
107 Autors neue Leistungsschutzrechte begründet werden, die dann
108 deutlich über die urheberrechtliche Schutzfrist hinaus
109 gelten. Leistungsschutzrechte können dementsprechend
110 zusätzliche Einnahmequellen erschließen, andererseits können
111 sie aber auch die Gemeinfreiheit von Werken zeitlich
112 hinausschieben. Neben einer Vereinheitlichung der
113 Schutzdauer werden daher auch grundsätzlichere Anpassungen
114 diskutiert. So gibt es beispielsweise unterschiedlich
115 motivierte Überlegungen, Leistungsschutzrechte auszuweiten
116 und die Schutzfristen zu verlängern. Die Auswirkungen dieser
117 Überlegungen werden unterschiedlich beurteilt.
118
119 Auf der einen Seite werden durch kürzere Schutzfristen ein
120 regerer Wettbewerb zwischen Werkvermittlern und ein
121 breiteres Angebot von Kulturgütern erwartet. [Fußnote:
122 Eckhard Höffner, Geschichte und Wesen des Urheberrechts,
123 2010]. Auf der anderen Seite könnten verkürzte Schutzfristen
124 das unternehmerische Risiko vergrößern. Dies könnte auch zu
125 einem Verlust an Vielfalt und Qualität von Kulturgütern
126 führen.
127
128 Verwerter können sich dann nämlich eben nicht auf einen
129 ihnen zugesicherten Zeitraum zurückziehen, sondern stehen in
130 direkter Konkurrenz zu anderen Verwertern. Wettbewerb stellt
131 einen erhöhten Anreiz zu stetiger Optimierung der
132 Verwerterleistungen, zu schnellerer und umfassenderer
133 Nachfragebefriedigung und zu größerem Service gegenüber
134 Urhebern und Kunden dar. Auch die Funktionsfähigkeit des
135 Marktes kann damit durch kürzer zu bemessende Fristen
136 gestärkt werden.
137
138 Alternativer Textvorschlag von DIE LINKE. ab hier
139 Dass der Urheberrechtsschutz an Immaterialgütern stets
140 zeitlich befristet ist, begründet sich aus wichtigen
141 Unterschieden zum Sacheigentum. Einerseits spielt hier die
142 persönlichkeitsrechtliche Komponente des Rechts eine Rolle:
143 Nach dem Tod des Urhebers lockert sich mit der Zeit der
144 legitimierende Zusammenhang des Rechts mit dem
145 ursprünglichen Schöpfer des Werks. Je mehr Generationen
146 schutzberechtigt würden, umso mehr würde die Fortdauer des
147 Schutzes ihre innere Berechtigung verlieren. Doch auch aus
148 der Interessenabwägung zwischen Eigentumsinteressen und
149 solchen des Allgemeinwohls gelangt man zu diesem Schluss.
150 Nach Ablauf einer gewissen Zeit überwiegt das Interesse der
151 Allgemeineheit an einer freien Nutzung des geschaffenen
152 Geistesguts gegenüber den Interesssen des Rechteinhabers.
153
154 Das geltende Recht trägt solchen Überlegungen Rechnung.
155 Allerdings basiert es auf Gegebenheiten der analogen Welt.
156 Dass mit dem Internet eine leichtere Vervielfältigung und
157 Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke möglich
158 geworden ist, die sich faktisch nicht mehr effektiv
159 kontrollieren lässt, lässt die geltenden Schutzfristen
160 eindeutig als zu lang erscheinen.
161
162 Das Bundesverfassungsgericht erläutert in seiner
163 „Schallplatten-Entscheidung“, die Angemessenheit der
164 urheberrechtlichen Schutzdauer könne „zu verschiedenen
165 Zeiten je nach Bewertung der widerstreitenden Interessen
166 verschieden beurteilt werden.“ [Fußnote: Schallplatten,
167 BVerfGE 31, S. 275 ff.,
168 http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidung
169 en/bverfg/1bvr766-66.html]. Die Eigentumsgarantie der
170 Verfassung biete weder die Gewähr einer ewigen Schutzdauer,
171 noch verpflichte sie den Gesetzgeber, die Geltungsdauer auf
172 einen bestimmten Zeitraum festzulegen.
173
174 Ein späteres Bundesverfassungsgerichtsurteil, das
175 Vollzugsanstalten-Urteil, hat überdies bestätigt, dass Werke
176 die Tendenz haben, mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur
177 Veröffentlichung an privatrechtlicher Bindung einzubüßen:
178 „Mit der Veröffentlichung steht das geschützte Musikwerk
179 nicht mehr allein seinem Schöpfer zur Verfügung. Es tritt
180 vielmehr bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und
181 kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und
182 geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden
183 (BVerfGE 31, 229 [242]; 49, 382 [394]). Es löst sich mit der
184 Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird
185 geistiges und kulturelles Allgemeingut (BVerfGE 58, 137 [148
186 f.]). Dies ist zugleich die innere Rechtfertigung für die
187 zeitliche Begrenzung des Urheberschutzes durch § 64 Abs. 1
188 UrhG.“ [Fußnote: Vollzugsanstalten, BVerfGE 79, S. 29 ff.,
189 http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidung
190 en/bverfg/1bvr743-86.html]. Hieraus folgt, dass
191 grundsätzlich Schutzrechtsverkürzungen möglich sind, auch
192 wenn diese auf EU-Ebene durchgesetzt werden müssten
193 [Fußnote:
194 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:
195 32006L0116:DE:NOT].
196 Schon die Gesetzesbegründung zur Urheberrechtsreform von
197 1965 erwähnt, nur die wenigsten Werke seien nach Ablauf der
198 Schutzdauer noch von vermögensrechtlichem Interesse
199 [Fußnote: Begründung des Regierungsentwurfes. BT-Drucksache
200 IV/270, S. 27-117. Zit. nach: Archiv für Urheber- Film-
201 Funk- und Theaterrecht UFITA, Bd. 45:2 (1965), S. 240-336.
202 S. 295.]. Auch Thomas Dreier äußert sich in seinem
203 Urheberrechtskommentar skeptisch [Fußnote: Dreier, Thomas,
204 Schulz, Gernot: Urheberrechtsgesetz. München: C.H. Beck 3.
205 Aufl. 2008. Vor §§ 64 ff., Rdnr. 1.]. Till Kreutzer glaubt,
206 dass die Schutzdauer in der Regel weit über das hinausgeht,
207 was zum Anreiz kreativer Leistungen erforderlich wäre.
208 Vielmehr seien die langen Schutzfristen nachgerade
209 hinderlich, insbesondere bei technisch-funktionalen Werken,
210 deren „Lebensdauer“ technologiebedingt viel kürzer sei
211 [Fußnote: Kreutzer, Till: Den gordischen Knoten
212 durchschlagen – Ideen für ein neues Urheberrechtskonzept.
213 In: Copy. Right. Now! Plädoyers für ein zukunftstaugliches
214 Urheberrecht. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung & iRights.info.
215 Berlin 2010, S. 45-55. S. 54.]. Gerd Hansen weist zudem auf
216 die Schnelllebigkeit einer modernen Mediengesellschaft hin:
217 Die allermeisten Werke würden nur für einen relativ kurzen
218 Zeitraum verwertet [Fußnote: Hansen, Gerd: Warum
219 Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter
220 besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes. Baden-Baden:
221 Nomos Verlag 2009. S. 369.].
222
223 Anknüpfend an einen Vorschlag von Lawrence Lessig schlägt
224 Hansen eine radikale Verkürzung der Schutzfrist auf
225 beispielsweise fünf Jahre ab Veröffentlichung vor. Danach
226 soll es eine kostenpflichtige Verlängerungsoption für den
227 Schutzrechtsinhaber geben [Fußnote: Hansen, Gerd: Warum
228 Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter
229 besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes. Baden-Baden:
230 Nomos Verlag 2009. S. 370 ff.]. Kreutzer hingegen plädiert
231 für eine variable Regelung, die an die Konzeption der
232 Urhebernachfolgevergütung anknüpft [Fußnote: Kreutzer, Till:
233 Das Modell des deutschen Urheberrechts und
234 Regelungsalternativen. München: Nomos Verlag 2008. S. 481
235 ff.]. Schutzrechte sollen demnach nur eine Zeit lang als
236 ausschließliche gewährt und hernach als
237 Beteiligungsansprüche ausgestaltet werden (möglicherweise
238 nur für gewerbliche Nutzungen), bevor die Nutzung ganz
239 urheberrechtsfrei wird [Fußnote: Kreutzer, Till: Das Modell
240 des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen.
241 München: Nomos Verlag 2008. S. 485.].
242
243 Schutzfristverlängerungen, wie sie derzeit etwa im Hinblick
244 auf die Leistungsschutzrechte der Tonträgerunternehmen
245 diskutiert werden, nutzen den Medienunternehmen, die die
246 Inhaber dieser Rechte sind, nicht jedoch den Künstlern
247 selbst.
248
249 Aus den aktuell zu langen Schutzfristen resultiert
250 insbesondere das Problem der verwaisten Werke, für das
251 bislang weder auf nationaler noch auf EU-Ebene eine Lösung
252 gefunden wurde. Da abzusehen ist, dass in der digitalen Welt
253 Werke noch viel eher verwaisen als in der analogen Welt,
254 wird dieses Problem sich eher noch verschärfen, wenn nicht
255 eine grundsätzliche Schutzfristverkürzung in Angriff
256 genommen wird.
257
258 Grundsätzlich ist auch zu erwägen, über eine Änderung der
259 Berner Konvention zu einer Registrierungsmöglichkeit zu
260 gelangen, die zur Voraussetzung für einen vollumfänglichen
261 Urheberrechtsschutz erklärt werden könnte. Ebenso ist die
262 Reduktion des Ausschließlichkeitsrechts auf einen
263 Vergütungsanspruch im digitalen Raum eine Möglichkeit, die
264 durch die lange Schutzdauer für die Allgemeinheit
265 erwachsenen Restriktionen stärker einzugrenzen.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Fragen der Schutzdauer
2
3 Bestandsaufnahme:
4 Mit der Urheberrechtsreform von 1964 wurden die
5 Schutzfristen auf 70 Jahre nach dem Tode der Urheber
6 ausgedehnt.
7
8 Hintergrund der Festlegung der Regelschutzdauer des § 64
9 UrhG auf 70 Jahre post mortem auctoris ist, dass man davon
10 ausgeht, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch nahe Angehörige
11 des Urhebers am Leben sind, welche die Rechte an vorhandenen
12 Werken wahrnehmen [Fußnote: Wandtke/Bullinger,
13 Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Auflage 2009, § 64 Rn.
14 1.].
15
16 Allerdings sind die Fristen der Urheberrechte und verwandten
17 Schutzrechte mittlerweile EU-weit geregelt, was den
18 Handlungsspielraum des deutschen Gesetzgebers in Bezug auf
19 Schutzfristverlängerungen oder –verkürzungen beträchtlich
20 einengt [Fußnote:
21 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:
22 32006L0116:DE:NOT].
23
24 So ist zu beachten, dass die gegenwärtigen Regelungen zur
25 Schutzdauer im Urhebergesetz auf der Richtlinie 93/98/EWG
26 des Rates der EU vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der
27 Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter
28 Schutzrechte („Schutzdauer-Richtlinie“) basieren, deren
29 Vorgaben bindend sind.
30
31 Die EU-Kommission und der Rechtsausschuss des EU-Parlaments
32 haben sich mit einem Richtlinienvorschlag für eine
33 Vollharmonisierung der Schutzfristen für
34 Leistungsschutzrechte auf 95 Jahre eingesetzt (Vorschlag
35 abrufbar unter
36 http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:200
37 8:0464:FIN:DE:PDF).
38 Schutzfristen begründen Verwertungsmonopole auf Zeit. Sie
39 sind hinsichtlich ihrer Dauer wichtige Instrumente zur
40 Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen Interessen
41 von Urhebern, Verwertern, Nutzern und Allgemeinheit.
42
43 Dies führt dazu, dass zwei, drei Generationen nach Ableben
44 des Urhebers oder der Urheberin das Werk der Allgemeinheit
45 immer noch nicht zugänglich gemacht werden kann, es sei
46 denn, die Rechteinhaber erteilen ihre Zustimmung.
47
48 „Beim hochpersönlichen Urheberrecht lockere sich nach dem
49 Tod des Urhebers mit Ablauf der Zeit immer mehr der
50 legitimierende Zusammenhang des Rechts mit dem
51 ursprünglichen Schöpfer des Werks und zwar auch hinsichtlich
52 der Verwertungsrechte, die sich nicht im Sinne einer
53 völligen Verselbständigung aus der Urheberbeziehung
54 herauslösen ließen. […] Je mehr Generationen
55 schutzberechtigt würden, umso mehr würden die Beziehungen
56 zum Urheber verblassen, umso größer werde die Zahl der
57 Berechtigten und desto mehr verliere die Fortdauer des
58 Schutzes ihre innere Berechtigung.“ [Fußnote: Fechner,
59 Frank: Geistiges Eigentum und Verfassung. Schöpferische
60 Leistungen unter dem Schutz des Grundgesetzes. Tübingen:
61 Mohr Siebeck 1999, S. 399. ]. Demgegenüber hebt die
62 Begründung der Anhänger der Immaterialgüterlehre auf die
63 Interessen der Allgemeinheit ab: „Das Interesse der
64 Allgemeinheit an einer Nutzung des geschaffenen Geistesgutes
65 überwiegt dieser Ansicht nach zumindest nach Ablauf einer
66 gewissen Zeit gegenüber den Interessen des Rechtsinhabers
67 bzw. seiner Erben an einer wirtschaftlichen Nutzung seines
68 geistigen Eigentums.[…]“ [Fußnote: Fechner, Frank: Geistiges
69 Eigentum und Verfassung. Schöpferische Leistungen unter dem
70 Schutz des Grundgesetzes. Tübingen: Mohr Siebeck 1999, S.
71 401.].
72
73 Diese Situation ist insbesondere für Archive und
74 Bibliotheken prekär, die sich mit ihrer Arbeit in
75 zunehmenden Grauzonen wiederfinden, wenn sie Werke
76 digitalisieren und der Allgemeinheit zugänglich machen
77 wollen.
78
79 Archive und Bibliotheken stehen bei der Digitalisierung
80 ihres Archivmaterials vor einer großen Herausforderung: Für
81 eine öffentliche Zugänglichmachung ihres digitalisierten
82 Materials brauchen sie die Zustimmung des Urhebers und
83 müssen dazu aufgrund der teils lange zurückreichenden
84 Schutzfristen oft in detektivischer Arbeit den
85 Rechtsnachfolger ermitteln. Wären die Schutzfristen kürzer,
86 könnte also mehr Material gemeinfrei zur Verfügung gestellt
87 werden. Bis dahin können Archive und Bibliotheken ihre
88 Exponate zwar gem. § 53 II Nr. 2 UrhG digitalisieren, aber
89 ohne die Zustimmung der Urheber oder eine Regelung zu den
90 verwaisten Werken eben nicht ausstellen [Fußnote: Für eine
91 ausführliche Darstellung dieser Thematik siehe „Digitale
92 Sicherung und Nutzbarkeit von Kulturgütern – Umgang mit
93 verwaisten Werken“].
94
95 Das geltende Urheberrechtssystem ist außerdem geprägt von
96 dem Umstand, dass es zwei Schutzinstrumente gibt, die
97 jeweils für sich durch relativ lange Schutzfristen
98 gekennzeichnet sind und kumulativ Anwendung finden können.
99
100 Die Schutzdauer für Urheber- und Leistungsschutzrechte ist
101 unterschiedlich lang und auch differenziert ausgestaltet. So
102 knüpft die Schutzdauer für das Urheberrecht an den Tod des
103 Autors an und geht darüber hinaus. Die Schutzdauer der
104 Leistungsschutzrechte beginnt demgegenüber ab der
105 Erstaufführung oder dem erstmaligen Erscheinen. Unter
106 Umständen können so auch noch viele Jahre nach dem Tod des
107 Autors neue Leistungsschutzrechte begründet werden, die dann
108 deutlich über die urheberrechtliche Schutzfrist hinaus
109 gelten. Leistungsschutzrechte können dementsprechend
110 zusätzliche Einnahmequellen erschließen, andererseits können
111 sie aber auch die Gemeinfreiheit von Werken zeitlich
112 hinausschieben. Neben einer Vereinheitlichung der
113 Schutzdauer werden daher auch grundsätzlichere Anpassungen
114 diskutiert. So gibt es beispielsweise unterschiedlich
115 motivierte Überlegungen, Leistungsschutzrechte auszuweiten
116 und die Schutzfristen zu verlängern. Die Auswirkungen dieser
117 Überlegungen werden unterschiedlich beurteilt.
118
119 Auf der einen Seite werden durch kürzere Schutzfristen ein
120 regerer Wettbewerb zwischen Werkvermittlern und ein
121 breiteres Angebot von Kulturgütern erwartet. [Fußnote:
122 Eckhard Höffner, Geschichte und Wesen des Urheberrechts,
123 2010]. Auf der anderen Seite könnten verkürzte Schutzfristen
124 das unternehmerische Risiko vergrößern. Dies könnte auch zu
125 einem Verlust an Vielfalt und Qualität von Kulturgütern
126 führen.
127
128 Verwerter können sich dann nämlich eben nicht auf einen
129 ihnen zugesicherten Zeitraum zurückziehen, sondern stehen in
130 direkter Konkurrenz zu anderen Verwertern. Wettbewerb stellt
131 einen erhöhten Anreiz zu stetiger Optimierung der
132 Verwerterleistungen, zu schnellerer und umfassenderer
133 Nachfragebefriedigung und zu größerem Service gegenüber
134 Urhebern und Kunden dar. Auch die Funktionsfähigkeit des
135 Marktes kann damit durch kürzer zu bemessende Fristen
136 gestärkt werden.
137
138 Alternativer Textvorschlag von DIE LINKE. ab hier
139 Dass der Urheberrechtsschutz an Immaterialgütern stets
140 zeitlich befristet ist, begründet sich aus wichtigen
141 Unterschieden zum Sacheigentum. Einerseits spielt hier die
142 persönlichkeitsrechtliche Komponente des Rechts eine Rolle:
143 Nach dem Tod des Urhebers lockert sich mit der Zeit der
144 legitimierende Zusammenhang des Rechts mit dem
145 ursprünglichen Schöpfer des Werks. Je mehr Generationen
146 schutzberechtigt würden, umso mehr würde die Fortdauer des
147 Schutzes ihre innere Berechtigung verlieren. Doch auch aus
148 der Interessenabwägung zwischen Eigentumsinteressen und
149 solchen des Allgemeinwohls gelangt man zu diesem Schluss.
150 Nach Ablauf einer gewissen Zeit überwiegt das Interesse der
151 Allgemeineheit an einer freien Nutzung des geschaffenen
152 Geistesguts gegenüber den Interesssen des Rechteinhabers.
153
154 Das geltende Recht trägt solchen Überlegungen Rechnung.
155 Allerdings basiert es auf Gegebenheiten der analogen Welt.
156 Dass mit dem Internet eine leichtere Vervielfältigung und
157 Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke möglich
158 geworden ist, die sich faktisch nicht mehr effektiv
159 kontrollieren lässt, lässt die geltenden Schutzfristen
160 eindeutig als zu lang erscheinen.
161
162 Das Bundesverfassungsgericht erläutert in seiner
163 „Schallplatten-Entscheidung“, die Angemessenheit der
164 urheberrechtlichen Schutzdauer könne „zu verschiedenen
165 Zeiten je nach Bewertung der widerstreitenden Interessen
166 verschieden beurteilt werden.“ [Fußnote: Schallplatten,
167 BVerfGE 31, S. 275 ff.,
168 http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidung
169 en/bverfg/1bvr766-66.html]. Die Eigentumsgarantie der
170 Verfassung biete weder die Gewähr einer ewigen Schutzdauer,
171 noch verpflichte sie den Gesetzgeber, die Geltungsdauer auf
172 einen bestimmten Zeitraum festzulegen.
173
174 Ein späteres Bundesverfassungsgerichtsurteil, das
175 Vollzugsanstalten-Urteil, hat überdies bestätigt, dass Werke
176 die Tendenz haben, mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur
177 Veröffentlichung an privatrechtlicher Bindung einzubüßen:
178 „Mit der Veröffentlichung steht das geschützte Musikwerk
179 nicht mehr allein seinem Schöpfer zur Verfügung. Es tritt
180 vielmehr bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und
181 kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und
182 geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden
183 (BVerfGE 31, 229 [242]; 49, 382 [394]). Es löst sich mit der
184 Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird
185 geistiges und kulturelles Allgemeingut (BVerfGE 58, 137 [148
186 f.]). Dies ist zugleich die innere Rechtfertigung für die
187 zeitliche Begrenzung des Urheberschutzes durch § 64 Abs. 1
188 UrhG.“ [Fußnote: Vollzugsanstalten, BVerfGE 79, S. 29 ff.,
189 http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidung
190 en/bverfg/1bvr743-86.html]. Hieraus folgt, dass
191 grundsätzlich Schutzrechtsverkürzungen möglich sind, auch
192 wenn diese auf EU-Ebene durchgesetzt werden müssten
193 [Fußnote:
194 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:
195 32006L0116:DE:NOT].
196 Schon die Gesetzesbegründung zur Urheberrechtsreform von
197 1965 erwähnt, nur die wenigsten Werke seien nach Ablauf der
198 Schutzdauer noch von vermögensrechtlichem Interesse
199 [Fußnote: Begründung des Regierungsentwurfes. BT-Drucksache
200 IV/270, S. 27-117. Zit. nach: Archiv für Urheber- Film-
201 Funk- und Theaterrecht UFITA, Bd. 45:2 (1965), S. 240-336.
202 S. 295.]. Auch Thomas Dreier äußert sich in seinem
203 Urheberrechtskommentar skeptisch [Fußnote: Dreier, Thomas,
204 Schulz, Gernot: Urheberrechtsgesetz. München: C.H. Beck 3.
205 Aufl. 2008. Vor §§ 64 ff., Rdnr. 1.]. Till Kreutzer glaubt,
206 dass die Schutzdauer in der Regel weit über das hinausgeht,
207 was zum Anreiz kreativer Leistungen erforderlich wäre.
208 Vielmehr seien die langen Schutzfristen nachgerade
209 hinderlich, insbesondere bei technisch-funktionalen Werken,
210 deren „Lebensdauer“ technologiebedingt viel kürzer sei
211 [Fußnote: Kreutzer, Till: Den gordischen Knoten
212 durchschlagen – Ideen für ein neues Urheberrechtskonzept.
213 In: Copy. Right. Now! Plädoyers für ein zukunftstaugliches
214 Urheberrecht. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung & iRights.info.
215 Berlin 2010, S. 45-55. S. 54.]. Gerd Hansen weist zudem auf
216 die Schnelllebigkeit einer modernen Mediengesellschaft hin:
217 Die allermeisten Werke würden nur für einen relativ kurzen
218 Zeitraum verwertet [Fußnote: Hansen, Gerd: Warum
219 Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter
220 besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes. Baden-Baden:
221 Nomos Verlag 2009. S. 369.].
222
223 Anknüpfend an einen Vorschlag von Lawrence Lessig schlägt
224 Hansen eine radikale Verkürzung der Schutzfrist auf
225 beispielsweise fünf Jahre ab Veröffentlichung vor. Danach
226 soll es eine kostenpflichtige Verlängerungsoption für den
227 Schutzrechtsinhaber geben [Fußnote: Hansen, Gerd: Warum
228 Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter
229 besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes. Baden-Baden:
230 Nomos Verlag 2009. S. 370 ff.]. Kreutzer hingegen plädiert
231 für eine variable Regelung, die an die Konzeption der
232 Urhebernachfolgevergütung anknüpft [Fußnote: Kreutzer, Till:
233 Das Modell des deutschen Urheberrechts und
234 Regelungsalternativen. München: Nomos Verlag 2008. S. 481
235 ff.]. Schutzrechte sollen demnach nur eine Zeit lang als
236 ausschließliche gewährt und hernach als
237 Beteiligungsansprüche ausgestaltet werden (möglicherweise
238 nur für gewerbliche Nutzungen), bevor die Nutzung ganz
239 urheberrechtsfrei wird [Fußnote: Kreutzer, Till: Das Modell
240 des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen.
241 München: Nomos Verlag 2008. S. 485.].
242
243 Schutzfristverlängerungen, wie sie derzeit etwa im Hinblick
244 auf die Leistungsschutzrechte der Tonträgerunternehmen
245 diskutiert werden, nutzen den Medienunternehmen, die die
246 Inhaber dieser Rechte sind, nicht jedoch den Künstlern
247 selbst.
248
249 Aus den aktuell zu langen Schutzfristen resultiert
250 insbesondere das Problem der verwaisten Werke, für das
251 bislang weder auf nationaler noch auf EU-Ebene eine Lösung
252 gefunden wurde. Da abzusehen ist, dass in der digitalen Welt
253 Werke noch viel eher verwaisen als in der analogen Welt,
254 wird dieses Problem sich eher noch verschärfen, wenn nicht
255 eine grundsätzliche Schutzfristverkürzung in Angriff
256 genommen wird.
257
258 Grundsätzlich ist auch zu erwägen, über eine Änderung der
259 Berner Konvention zu einer Registrierungsmöglichkeit zu
260 gelangen, die zur Voraussetzung für einen vollumfänglichen
261 Urheberrechtsschutz erklärt werden könnte. Ebenso ist die
262 Reduktion des Ausschließlichkeitsrechts auf einen
263 Vergütungsanspruch im digitalen Raum eine Möglichkeit, die
264 durch die lange Schutzdauer für die Allgemeinheit
265 erwachsenen Restriktionen stärker einzugrenzen.

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