1.05 (Schutzdauer)

1-1 von 1
  • 1.05 (Schutzdauer) (Originalversion)

    von Administrator, angelegt
    1 Fragen der Schutzdauer
    2
    3 Bestandsaufnahme:
    4 Mit der Urheberrechtsreform von 1964 wurden die
    5 Schutzfristen auf 70 Jahre nach dem Tode der Urheber
    6 ausgedehnt.
    7
    8 Hintergrund der Festlegung der Regelschutzdauer des § 64
    9 UrhG auf 70 Jahre post mortem auctoris ist, dass man davon
    10 ausgeht, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch nahe Angehörige
    11 des Urhebers am Leben sind, welche die Rechte an vorhandenen
    12 Werken wahrnehmen [Fußnote: Wandtke/Bullinger,
    13 Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Auflage 2009, § 64 Rn.
    14 1.].
    15
    16 Allerdings sind die Fristen der Urheberrechte und verwandten
    17 Schutzrechte mittlerweile EU-weit geregelt, was den
    18 Handlungsspielraum des deutschen Gesetzgebers in Bezug auf
    19 Schutzfristverlängerungen oder –verkürzungen beträchtlich
    20 einengt [Fußnote:
    21 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:
    22 32006L0116:DE:NOT].
    23
    24 So ist zu beachten, dass die gegenwärtigen Regelungen zur
    25 Schutzdauer im Urhebergesetz auf der Richtlinie 93/98/EWG
    26 des Rates der EU vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der
    27 Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter
    28 Schutzrechte („Schutzdauer-Richtlinie“) basieren, deren
    29 Vorgaben bindend sind.
    30
    31 Die EU-Kommission und der Rechtsausschuss des EU-Parlaments
    32 haben sich mit einem Richtlinienvorschlag für eine
    33 Vollharmonisierung der Schutzfristen für
    34 Leistungsschutzrechte auf 95 Jahre eingesetzt (Vorschlag
    35 abrufbar unter
    36 http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:200
    37 8:0464:FIN:DE:PDF).
    38 Schutzfristen begründen Verwertungsmonopole auf Zeit. Sie
    39 sind hinsichtlich ihrer Dauer wichtige Instrumente zur
    40 Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen Interessen
    41 von Urhebern, Verwertern, Nutzern und Allgemeinheit.
    42
    43 Dies führt dazu, dass zwei, drei Generationen nach Ableben
    44 des Urhebers oder der Urheberin das Werk der Allgemeinheit
    45 immer noch nicht zugänglich gemacht werden kann, es sei
    46 denn, die Rechteinhaber erteilen ihre Zustimmung.
    47
    48 „Beim hochpersönlichen Urheberrecht lockere sich nach dem
    49 Tod des Urhebers mit Ablauf der Zeit immer mehr der
    50 legitimierende Zusammenhang des Rechts mit dem
    51 ursprünglichen Schöpfer des Werks und zwar auch hinsichtlich
    52 der Verwertungsrechte, die sich nicht im Sinne einer
    53 völligen Verselbständigung aus der Urheberbeziehung
    54 herauslösen ließen. […] Je mehr Generationen
    55 schutzberechtigt würden, umso mehr würden die Beziehungen
    56 zum Urheber verblassen, umso größer werde die Zahl der
    57 Berechtigten und desto mehr verliere die Fortdauer des
    58 Schutzes ihre innere Berechtigung.“ [Fußnote: Fechner,
    59 Frank: Geistiges Eigentum und Verfassung. Schöpferische
    60 Leistungen unter dem Schutz des Grundgesetzes. Tübingen:
    61 Mohr Siebeck 1999, S. 399. ]. Demgegenüber hebt die
    62 Begründung der Anhänger der Immaterialgüterlehre auf die
    63 Interessen der Allgemeinheit ab: „Das Interesse der
    64 Allgemeinheit an einer Nutzung des geschaffenen Geistesgutes
    65 überwiegt dieser Ansicht nach zumindest nach Ablauf einer
    66 gewissen Zeit gegenüber den Interessen des Rechtsinhabers
    67 bzw. seiner Erben an einer wirtschaftlichen Nutzung seines
    68 geistigen Eigentums.[…]“ [Fußnote: Fechner, Frank: Geistiges
    69 Eigentum und Verfassung. Schöpferische Leistungen unter dem
    70 Schutz des Grundgesetzes. Tübingen: Mohr Siebeck 1999, S.
    71 401.].
    72
    73 Diese Situation ist insbesondere für Archive und
    74 Bibliotheken prekär, die sich mit ihrer Arbeit in
    75 zunehmenden Grauzonen wiederfinden, wenn sie Werke
    76 digitalisieren und der Allgemeinheit zugänglich machen
    77 wollen.
    78
    79 Archive und Bibliotheken stehen bei der Digitalisierung
    80 ihres Archivmaterials vor einer großen Herausforderung: Für
    81 eine öffentliche Zugänglichmachung ihres digitalisierten
    82 Materials brauchen sie die Zustimmung des Urhebers und
    83 müssen dazu aufgrund der teils lange zurückreichenden
    84 Schutzfristen oft in detektivischer Arbeit den
    85 Rechtsnachfolger ermitteln. Wären die Schutzfristen kürzer,
    86 könnte also mehr Material gemeinfrei zur Verfügung gestellt
    87 werden. Bis dahin können Archive und Bibliotheken ihre
    88 Exponate zwar gem. § 53 II Nr. 2 UrhG digitalisieren, aber
    89 ohne die Zustimmung der Urheber oder eine Regelung zu den
    90 verwaisten Werken eben nicht ausstellen [Fußnote: Für eine
    91 ausführliche Darstellung dieser Thematik siehe „Digitale
    92 Sicherung und Nutzbarkeit von Kulturgütern – Umgang mit
    93 verwaisten Werken“].
    94
    95 Das geltende Urheberrechtssystem ist außerdem geprägt von
    96 dem Umstand, dass es zwei Schutzinstrumente gibt, die
    97 jeweils für sich durch relativ lange Schutzfristen
    98 gekennzeichnet sind und kumulativ Anwendung finden können.
    99
    100 Die Schutzdauer für Urheber- und Leistungsschutzrechte ist
    101 unterschiedlich lang und auch differenziert ausgestaltet. So
    102 knüpft die Schutzdauer für das Urheberrecht an den Tod des
    103 Autors an und geht darüber hinaus. Die Schutzdauer der
    104 Leistungsschutzrechte beginnt demgegenüber ab der
    105 Erstaufführung oder dem erstmaligen Erscheinen. Unter
    106 Umständen können so auch noch viele Jahre nach dem Tod des
    107 Autors neue Leistungsschutzrechte begründet werden, die dann
    108 deutlich über die urheberrechtliche Schutzfrist hinaus
    109 gelten. Leistungsschutzrechte können dementsprechend
    110 zusätzliche Einnahmequellen erschließen, andererseits können
    111 sie aber auch die Gemeinfreiheit von Werken zeitlich
    112 hinausschieben. Neben einer Vereinheitlichung der
    113 Schutzdauer werden daher auch grundsätzlichere Anpassungen
    114 diskutiert. So gibt es beispielsweise unterschiedlich
    115 motivierte Überlegungen, Leistungsschutzrechte auszuweiten
    116 und die Schutzfristen zu verlängern. Die Auswirkungen dieser
    117 Überlegungen werden unterschiedlich beurteilt.
    118
    119 Auf der einen Seite werden durch kürzere Schutzfristen ein
    120 regerer Wettbewerb zwischen Werkvermittlern und ein
    121 breiteres Angebot von Kulturgütern erwartet. [Fußnote:
    122 Eckhard Höffner, Geschichte und Wesen des Urheberrechts,
    123 2010]. Auf der anderen Seite könnten verkürzte Schutzfristen
    124 das unternehmerische Risiko vergrößern. Dies könnte auch zu
    125 einem Verlust an Vielfalt und Qualität von Kulturgütern
    126 führen.
    127
    128 Verwerter können sich dann nämlich eben nicht auf einen
    129 ihnen zugesicherten Zeitraum zurückziehen, sondern stehen in
    130 direkter Konkurrenz zu anderen Verwertern. Wettbewerb stellt
    131 einen erhöhten Anreiz zu stetiger Optimierung der
    132 Verwerterleistungen, zu schnellerer und umfassenderer
    133 Nachfragebefriedigung und zu größerem Service gegenüber
    134 Urhebern und Kunden dar. Auch die Funktionsfähigkeit des
    135 Marktes kann damit durch kürzer zu bemessende Fristen
    136 gestärkt werden.
    137
    138 Alternativer Textvorschlag von DIE LINKE. ab hier
    139 Dass der Urheberrechtsschutz an Immaterialgütern stets
    140 zeitlich befristet ist, begründet sich aus wichtigen
    141 Unterschieden zum Sacheigentum. Einerseits spielt hier die
    142 persönlichkeitsrechtliche Komponente des Rechts eine Rolle:
    143 Nach dem Tod des Urhebers lockert sich mit der Zeit der
    144 legitimierende Zusammenhang des Rechts mit dem
    145 ursprünglichen Schöpfer des Werks. Je mehr Generationen
    146 schutzberechtigt würden, umso mehr würde die Fortdauer des
    147 Schutzes ihre innere Berechtigung verlieren. Doch auch aus
    148 der Interessenabwägung zwischen Eigentumsinteressen und
    149 solchen des Allgemeinwohls gelangt man zu diesem Schluss.
    150 Nach Ablauf einer gewissen Zeit überwiegt das Interesse der
    151 Allgemeineheit an einer freien Nutzung des geschaffenen
    152 Geistesguts gegenüber den Interesssen des Rechteinhabers.
    153
    154 Das geltende Recht trägt solchen Überlegungen Rechnung.
    155 Allerdings basiert es auf Gegebenheiten der analogen Welt.
    156 Dass mit dem Internet eine leichtere Vervielfältigung und
    157 Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke möglich
    158 geworden ist, die sich faktisch nicht mehr effektiv
    159 kontrollieren lässt, lässt die geltenden Schutzfristen
    160 eindeutig als zu lang erscheinen.
    161
    162 Das Bundesverfassungsgericht erläutert in seiner
    163 „Schallplatten-Entscheidung“, die Angemessenheit der
    164 urheberrechtlichen Schutzdauer könne „zu verschiedenen
    165 Zeiten je nach Bewertung der widerstreitenden Interessen
    166 verschieden beurteilt werden.“ [Fußnote: Schallplatten,
    167 BVerfGE 31, S. 275 ff.,
    168 http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidung
    169 en/bverfg/1bvr766-66.html]. Die Eigentumsgarantie der
    170 Verfassung biete weder die Gewähr einer ewigen Schutzdauer,
    171 noch verpflichte sie den Gesetzgeber, die Geltungsdauer auf
    172 einen bestimmten Zeitraum festzulegen.
    173
    174 Ein späteres Bundesverfassungsgerichtsurteil, das
    175 Vollzugsanstalten-Urteil, hat überdies bestätigt, dass Werke
    176 die Tendenz haben, mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur
    177 Veröffentlichung an privatrechtlicher Bindung einzubüßen:
    178 „Mit der Veröffentlichung steht das geschützte Musikwerk
    179 nicht mehr allein seinem Schöpfer zur Verfügung. Es tritt
    180 vielmehr bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und
    181 kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und
    182 geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden
    183 (BVerfGE 31, 229 [242]; 49, 382 [394]). Es löst sich mit der
    184 Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird
    185 geistiges und kulturelles Allgemeingut (BVerfGE 58, 137 [148
    186 f.]). Dies ist zugleich die innere Rechtfertigung für die
    187 zeitliche Begrenzung des Urheberschutzes durch § 64 Abs. 1
    188 UrhG.“ [Fußnote: Vollzugsanstalten, BVerfGE 79, S. 29 ff.,
    189 http://archiv.jura.uni-saarland.de/urheberrecht/entscheidung
    190 en/bverfg/1bvr743-86.html]. Hieraus folgt, dass
    191 grundsätzlich Schutzrechtsverkürzungen möglich sind, auch
    192 wenn diese auf EU-Ebene durchgesetzt werden müssten
    193 [Fußnote:
    194 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:
    195 32006L0116:DE:NOT].
    196 Schon die Gesetzesbegründung zur Urheberrechtsreform von
    197 1965 erwähnt, nur die wenigsten Werke seien nach Ablauf der
    198 Schutzdauer noch von vermögensrechtlichem Interesse
    199 [Fußnote: Begründung des Regierungsentwurfes. BT-Drucksache
    200 IV/270, S. 27-117. Zit. nach: Archiv für Urheber- Film-
    201 Funk- und Theaterrecht UFITA, Bd. 45:2 (1965), S. 240-336.
    202 S. 295.]. Auch Thomas Dreier äußert sich in seinem
    203 Urheberrechtskommentar skeptisch [Fußnote: Dreier, Thomas,
    204 Schulz, Gernot: Urheberrechtsgesetz. München: C.H. Beck 3.
    205 Aufl. 2008. Vor §§ 64 ff., Rdnr. 1.]. Till Kreutzer glaubt,
    206 dass die Schutzdauer in der Regel weit über das hinausgeht,
    207 was zum Anreiz kreativer Leistungen erforderlich wäre.
    208 Vielmehr seien die langen Schutzfristen nachgerade
    209 hinderlich, insbesondere bei technisch-funktionalen Werken,
    210 deren „Lebensdauer“ technologiebedingt viel kürzer sei
    211 [Fußnote: Kreutzer, Till: Den gordischen Knoten
    212 durchschlagen – Ideen für ein neues Urheberrechtskonzept.
    213 In: Copy. Right. Now! Plädoyers für ein zukunftstaugliches
    214 Urheberrecht. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung & iRights.info.
    215 Berlin 2010, S. 45-55. S. 54.]. Gerd Hansen weist zudem auf
    216 die Schnelllebigkeit einer modernen Mediengesellschaft hin:
    217 Die allermeisten Werke würden nur für einen relativ kurzen
    218 Zeitraum verwertet [Fußnote: Hansen, Gerd: Warum
    219 Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter
    220 besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes. Baden-Baden:
    221 Nomos Verlag 2009. S. 369.].
    222
    223 Anknüpfend an einen Vorschlag von Lawrence Lessig schlägt
    224 Hansen eine radikale Verkürzung der Schutzfrist auf
    225 beispielsweise fünf Jahre ab Veröffentlichung vor. Danach
    226 soll es eine kostenpflichtige Verlängerungsoption für den
    227 Schutzrechtsinhaber geben [Fußnote: Hansen, Gerd: Warum
    228 Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter
    229 besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes. Baden-Baden:
    230 Nomos Verlag 2009. S. 370 ff.]. Kreutzer hingegen plädiert
    231 für eine variable Regelung, die an die Konzeption der
    232 Urhebernachfolgevergütung anknüpft [Fußnote: Kreutzer, Till:
    233 Das Modell des deutschen Urheberrechts und
    234 Regelungsalternativen. München: Nomos Verlag 2008. S. 481
    235 ff.]. Schutzrechte sollen demnach nur eine Zeit lang als
    236 ausschließliche gewährt und hernach als
    237 Beteiligungsansprüche ausgestaltet werden (möglicherweise
    238 nur für gewerbliche Nutzungen), bevor die Nutzung ganz
    239 urheberrechtsfrei wird [Fußnote: Kreutzer, Till: Das Modell
    240 des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen.
    241 München: Nomos Verlag 2008. S. 485.].
    242
    243 Schutzfristverlängerungen, wie sie derzeit etwa im Hinblick
    244 auf die Leistungsschutzrechte der Tonträgerunternehmen
    245 diskutiert werden, nutzen den Medienunternehmen, die die
    246 Inhaber dieser Rechte sind, nicht jedoch den Künstlern
    247 selbst.
    248
    249 Aus den aktuell zu langen Schutzfristen resultiert
    250 insbesondere das Problem der verwaisten Werke, für das
    251 bislang weder auf nationaler noch auf EU-Ebene eine Lösung
    252 gefunden wurde. Da abzusehen ist, dass in der digitalen Welt
    253 Werke noch viel eher verwaisen als in der analogen Welt,
    254 wird dieses Problem sich eher noch verschärfen, wenn nicht
    255 eine grundsätzliche Schutzfristverkürzung in Angriff
    256 genommen wird.
    257
    258 Grundsätzlich ist auch zu erwägen, über eine Änderung der
    259 Berner Konvention zu einer Registrierungsmöglichkeit zu
    260 gelangen, die zur Voraussetzung für einen vollumfänglichen
    261 Urheberrechtsschutz erklärt werden könnte. Ebenso ist die
    262 Reduktion des Ausschließlichkeitsrechts auf einen
    263 Vergütungsanspruch im digitalen Raum eine Möglichkeit, die
    264 durch die lange Schutzdauer für die Allgemeinheit
    265 erwachsenen Restriktionen stärker einzugrenzen.