"Mir fehlt in dieser Auseinandersetzung immer der Punkt der gesellschaftlichen Entwicklung: Früher war eine solche Kopie ich und meine Handvoll Freunde, weil mein Umfeld so klein war. Heute ist die Welt mein Freund. Das im letzten Jahrtausend entwickelte Modell paßt damit nicht mir einher und kann so auch gar nicht Privatkopie heissen, weil es keine private Kopie mehr ist. "

Ich benutze den Begriff "Privatkopie" hier nicht im streng juristischen Sinne (falls es den formal überhaupt gibt), sondern in der Art: jeden rein privaten, unkommerziellen Kopiervorgang betreffend. Das schliesst freilich die ganze, über das Internet erreichbare Welt mit ein, seit die Welt - bidirektional - an jedes Wohnzimmer praktisch angeschlossen ist. Der Freundeskreis ist heute keine Frage mehr von so etwas wie räumlicher Nähe oder persönlicher Begegnung. Ich selbst kenne z.B. Menschen, mit denen ich ein sehr vertrauliches Verhältnis (schon über Jahre hinweg) pflege, ohne sie auch nur einmal offline getroffen zu haben. Im Web wird das Private öffentlich und das Öffentliche dringt in den privaten Bereich vor. Wenn man dies nicht wünscht, muss man einen gewissen Aufwand treiben, um es zu verhindern (Stichw. Datenschutz und -sicherheit).

Der zu suchende, rechtliche Unterschied besteht in einer wie auch immer gearteten Gewinnerziehlungsabsicht desjenigen, der kopiert oder andere aus seinem Datenbestand kopieren lässt. Meiner Meinung nach ist das die einzig sinnvolle Trennlinie, die man hier ziehen kann. Der reine Kopiervorgang ist ein so elementarer und banaler Akt, dass er sich heute kaum, in Zukunft immer weniger wirkungsvoll verhindern bzw seine erlaubte, reguläre Form von der unerlaubten separieren lässt. Wenn jedoch kommerzielle Aktivitäten mit fremden intellektuellen Leistungen betrieben werden, dann fällt das recht schnell auf, ist problemlos nachvollzieh- und beweisbar (z.B. über die elektronischen Spuren der Zahlungsvorgänge).

Ob es (wissenschaftliche) Papiere zur Untermauerung meiner Position gibt oder nicht, kann ich im Moment nicht sagen. Es gibt wohl zahlreiche Untersuchungen im Auftrag der grossen "Content-Industrien", die die angeblichen "Schäden" durch die massive "Internet-Priraterie" (gemeint ist das unkommerzielle Tauschen von hauptsächlich Filmen und Musik) beweisen sollen. Demgegenüber stehen dann jedoch solche Meldungen wie das jüngst bekannt gegebene "Rekord-Umsatzergebnis" der Filmbranche - trotz (oder gar wegen?) der allgegenwärtigen Tauschgelegenheiten im Netz. Ausserdem gibt es Umfragen, die nahelegen, dass die eifrigsten "Musikpiraten" auch die Gruppe der stärksten Käufer von kommerzieller Musik stellen. Einfach weil es sich bei denen um besonders musikaffine Individuen handelt, die sich wesentlich mehr und intensiver mit Musik auseinander setzen, als der durchschnittliche Konsument.

Da scheint jeweils etwas grundsätzlich nicht zusammen zu passen und der Verdacht liegt nahe, dass hier eine auf die Anfertigung und den Vetrieb von Kopien spezialisierte Industrie aus völlig irrationalen Erwägungen heraus die Möglichkeit des privaten Kopierens per se als bedrohlich empfindet und bekämpft. Dies lässt sich jedenfalls schon seit Aufkommen der ersten Magnetband-Kassettenrecorder nachvollziehen. Die später entwickelte CDR und letztlich die komprimierte Musikdatei waren nur jeweils die nächsten Eskallationsstufen eines Kampfes gegen die Windmühlen des kulturtechnischen Fortschritts.

Doch so wenig die Musikindustrie an der Magnetband-Kassette und der CDR kaputtgegangen ist, so unwahrscheinlich ist es auch, dass sie dies Schicksal an der Internet-Piraterie erleiden wird. Sie wird jedoch nicht umhin kommen, sich von alten Geschäftsmodellen zu verabschieden und neue Konzepte zu entwickeln, die sowohl die Möglichkeiten als auch die Bedürfnisse und Ansprüche des mündigen Konsumenten berücksichtigen. Tut sie dies, gibt es erst recht keinen Grund mehr, das private Tauschen online wie offline zu bekämpfen. Im Gegenteil: Dieser Kampf gegen die eigenen Kunden ist selbst reines Gift fürs Geschäft - einerseits - und andererseits kann man jedes getauschte Werk zumindest auch als Werbung sehen, die kostenlos von potenziellen Fans verbreitet wird.

Nochmal das Wesentliche auf den Punkt gebracht: Wenn die Kopie an sich kein knappes gut mehr darstellt, weil jeder sie zu jederzeit selbst anfertigen und verteilen kann, dann hat die Kopie als Geschäftsmodell ausgedient. Verkaufen lässt sich nur, was viele wollen, aber nur wenige selbst/billig herstellen können. Also muss man sich Gedanken machen, wie man die Kreativität in Zeiten der allgegenwärtigen Kopierbarkeit von kulturellen Informationen trotzdem Vermarkten kann. (Das ist aber glaube ich Gegenstand von Untersuchungen an anderer Stelle innerhalb dieser PG.) - der verschärfte rechtliche Zwang scheint mir jedoch schon heute kein probates Mittel mehr zu sein. Im Gegenteil - dadurch subventioniert der Gesetzgeber nur ein diffuses Abmahnwesen als quasi substitutiv-kompensatives Geschäftsmodell zu Lasten des Rechtsstaates und der Gesellschaft.