1.11 Schrankenregelungen

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    von EnqueteBuero, angelegt
    1 Bestandsaufnahme
    2 Zwischen dem Schutz kreativer Tätigkeit und dem Interesse am
    3 freien Informationszugang kann es zu Konflikten kommen. In
    4 der „digitalen Gesellschaft“ steigt der Informationsbedarf
    5 der Bürgerinnen und Bürger für alle Lebensbereiche. Es ist
    6 evident, dass dies nicht dazu führen kann, freien Zugang zu
    7 kreativen Leistungen Dritter zu erhalten, evident ist aber
    8 auch, dass die Interessen am Informationszugang selbst auch
    9 rechtlichen, auch grundrechtlichen, Schutz genießen können
    10 [Fußnote: Vergl. Wandtke-Bullinger, Kommentar zum
    11 Urheberrecht, 3. Aufl., Vor §§ 44 a ff, Rn. 1: „Da mit
    12 Schrankenbestimmungen teilweise besonderen
    13 verfassungsrechtlich geschützten Positionen Rechnung
    14 getragen wird, sind bei der Auslegung neben den Interessen
    15 des Urhebers auch die durch die Schrankenbestimmung
    16 geschützten Interessen zu beachten. Dies kann im Einzelfall
    17 dazu führen, dass eine am Wortlaut orientierte Auslegung
    18 einer großzügigeren, dem Informations- oder
    19 Nutzungsinteresse der Allgemeinheit Rechnung tragenden
    20 Interpretation weichen muss.“ Zitiert werden sodann folgende
    21 Entscheidungen: BGH GRUR 2002, 963- elektronischer
    22 Pressespiegel; BVerfG GRUR 2001, 149- Germania; BGH GRUR
    23 2003, 956- Gies-Adler)].
    24
    25 Der Konflikt wird traditionell im Urheberrecht durch die
    26 Begrenzung des Schutzrechts durch Schrankenbestimmungen
    27 aufgelöst. Den Schranken unterliegt sowohl die
    28 Eigentumsgarantie gem. Art. 14 Abs. 2 als auch die
    29 Informationsfreiheit gem. Art 5 Abs. 2 GG und beide
    30 Schranken sind selbstverständlich im Rahmen der
    31 Wechselwirkungslehre mit Blick auf die Verfassungsgarantie
    32 der anderen Grundrechte auszulegen [Fußnote:
    33 Epping/Hillgruber, BeckOK, Art. 5, Rn. 1.]. Nutzungen im
    34 Rahmen der Schrankenbestimmungen des Art. 14 GG sind
    35 grundsätzlich einwilligungsfrei, aber in der Regel
    36 vergütungspflichtig [Fußnote: Nicht vergütungspflichtig
    37 ausgestaltet ist beispielsweise die Zitatschranke in §51.
    38 Auch die §§44a, 45, 47, 48, 50 und teilweise weitere
    39 enthalten vergütungsfreie Schranken.]. Sie erleichtern den
    40 Zugang. Eine damit oft korrespondierende, aber auch eine
    41 ergänzende Möglichkeit der Zugangserweiterung ist die
    42 Einführung kollektiver Rechteverwaltungssysteme, die es
    43 ermöglichen, große Inhalterepertoires zu bündeln und
    44 jedermann einen Lizenzzugang zu eröffnen.
    45
    46 Der Katalog der zulässigen Schranken für das
    47 Vervielfältigungsrecht sowie für das Verbreitungs- und Recht
    48 der öffentlichen Zugänglichmachung auf Abruf ist
    49 abschließend geregelt in Art. 5 der EU-Info- Richtlinie
    50 (Info-RL). Dabei besteht die auch politisch relevante
    51 Besonderheit dieses Katalogs darin, dass er Mitgliedsstaaten
    52 nicht verpflichtet, von diesen Schranken Gebrauch zu machen.
    53 Macht jedoch ein Mitgliedsstaat von ihnen Gebrauch, sind die
    54 dort genannten Grundprinzipien bindend (so z.B. ist gem.
    55 Art. 5 Abs. 2b bei der Bemessung der Vergütung erheblich, ob
    56 technische Schutzmaßnahmen eingesetzt waren).
    57
    58 Eine Flexibilisierung der bestehenden Schrankenbestimmungen,
    59 sowohl hinsichtlich der Reichweite als auch hinsichtlich der
    60 konkreten Ausgestaltung ist innerhalb der europarechtlich
    61 vorgegebenen Schranken möglich. Die Einführung neuer
    62 Schrankenbestimmungen bedarf in der Regel jedoch einer
    63 vorherigen Änderung der EU-rechtlichen Grundlagen.
    64
    65 Das geltende Schrankensystem, wird aus Sicht der Nutzer in
    66 der Regel als zu eng und zu schwerfällig empfunden. Das gilt
    67 vor allem im Hinblick auf den abschließenden Charakter des
    68 Schrankenkatalogs der Richtlinie, der zum Teil noch vor dem
    69 Hintergrund analoger Werknutzungen formuliert wurde.
    70 Inzwischen ist technisch sehr viel mehr möglich als
    71 urheberrechtlich zulässig ist, sodass wahrgenommen wird,
    72 dass dem technologischen Fortschritt eine Spiegelung im
    73 deutschen Urheberrechtssystem fehlt. Insbesondere im Bereich
    74 Bildung, Wissenschaft und Forschung findet die Kommunikation
    75 unter massiv veränderten Bedingungen statt. Manche
    76 Werkvermittler, wie etwa Rundfunkanstalten, bringen vor, sie
    77 könnten aufgrund unzureichender Lizenzmodelle und zu enger
    78 Schrankenbestimmungen ihre Tätigkeit nur eingeschränkt
    79 ausüben. Für die Klärung von Rechten ist gerade im
    80 Onlinebereich ein erheblicher Aufwand nötig, der
    81 insbesondere kurzfristige Verwertung erschwert, was sich für
    82 Privatleute als besonders schwierig darstellt.
    83
    84 Das geltende Urheberrecht hat eine auf die analoge Welt
    85 zugeschnittene Regelung in die digitale Welt überführt und
    86 dabei die digitalen Besonderheiten dort berücksichtigt, wo
    87 dies zu einer Stärkung der Position der Rechteinhaber führte
    88 (Einführung eines Rechts auf öffentliche Zugänglichmachung;
    89 Definition der Vervielfältigung in dem Sinne, dass auch
    90 flüchtige Speichervorgänge, gleich in welcher Form, unter
    91 diesen Begriff fielen). Es hat die bereits bestehenden
    92 analogen Schranken beibehalten und insoweit auch die
    93 Interessen der Nutzer berücksichtigt. Insofern steht aber
    94 die Prüfung aus, ob die Schranken ihren Zweck auch im
    95 digitalen Zeitalter und insbesondere für Nutzungen im
    96 Internet ihren Zweck noch hinreichend erfüllen [Fußnote:
    97 Vgl. hierzu ausführlich Stellungnahme von Prof. Dr.
    98 Karl-Nikolaus Peifer zur Öffentlichen Anhörung der
    99 Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des
    100 Deutschen Bundestages: „Entwicklung des Urheberrechts in der
    101 Digitalen Gesellschaft vom 28. Oktober 2010. A-Drs. 17 (24)
    102 009 D.].