1 | Es wird diskutiert, die oben genannten Schrankenprobleme |
2 | durch generalklauselartige, dem amerikanischen Fair-Use |
3 | entsprechende Regelungen zu lösen. Die „Fair-Use-Doktrin“ |
4 | findet in Fällen Anwendung, wo es um eine Abwägung von |
5 | Nutzer- und Urheberrechten geht. Während die deutsche |
6 | Schrankenregelung, die unter der Zielsetzung eines |
7 | angemessenen Ausgleichs der Interessen entwickelt wurde, |
8 | teilweise als unflexibel und starr angesehen wird, soll die |
9 | Prüfung von Fair-Use-Grundsätzen in der Rechtsfindung den |
10 | faktischen Gegebenheiten eher Rechnung tragen. |
11 | Die Fair-Use-Doktrin, geregelt in §107 des Copyright Act, |
12 | zielt auf „faire“ Benutzungshandlungen insbesondere im |
13 | nicht-kommerziellen Bereich sowie auf kreative Werknutzungen |
14 | ab (transformative use). Wichtigstes Kriterium ist dabei, ob |
15 | der Urheber eines im Rahmen von „Fair Use“ verwendeten Werks |
16 | durch die neue Nutzung in der wirtschaftlichen Verwertung |
17 | seines Werks beeinträchtigt wird. Auch |
18 | satirisch-parodistische oder sonstige freie Bearbeitungen |
19 | fallen in der Regel unter Fair Use. |
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21 | Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die |
22 | Fair-Use-Rechtsprechung einen nicht-abschließenden Katalog |
23 | an Kriterien enthält, der durch Einzelfallrechtsprechung, |
24 | wie es dem Case-Law eigen ist, entwickelt wurde. |
25 | |
26 | In einer Studie der NGO Consumers International wurde das |
27 | Fair-Use-System kürzlich als best-practice-Modell genannt |
28 | [Fußnote: Die USA erhielten aufgrund dieses Systems eine |
29 | besonders positive Bewertung ihres Urheberrechtssystems, |
30 | weil die weichen Schranken zunächst eine Abwägung zulassen, |
31 | woraufhin im Einzelfall über eine großzügigere Auslegung |
32 | entschieden wird. Das System wird als innovationsfreundlich |
33 | bezeichnet, da eine neue Nutzungsweise oder Technik nicht |
34 | schon allein dadurch verboten ist, dass sie nicht in den |
35 | Schrankenkatalog aufgenommen ist. Sie ist vielmehr nur dann |
36 | nicht gestattet, wenn sie nicht als „fair“ eingeordnet |
37 | werden kann. (Consumers International, IP Watchlist 2010, S. |
38 | 5, abrufbar unter http://a2knetwork.org/watchlist).] |
39 | |
40 | Eine Übertragung auf die deutsche Urheberrechtsdogmatik ist |
41 | rechtstheoretisch nur begrenzt möglich [Fußnote: Beispiele |
42 | nach Achim Förster, „Fair Use“, S. 213 ff]: |
43 | |
44 | 1. So wird die Ersetzung des gesamten Schrankenkataloges |
45 | durch eine einzige Generalklausel nach der Fair-Use-Doktrin |
46 | wohl europarechtlich unzulässig sein. |
47 | |
48 | 2. Auch die Ergänzung einzelner Schranken um flexiblere |
49 | Fair-Use-Elemente (wie beispielsweise die Neufassung des § |
50 | 51 UrhG) könnte ihr Ziel verfehlen, wenn gänzlich neuartige |
51 | Verwertungsanliegen auch weiterhin nicht vom |
52 | Schrankenkatalog erfasst sind. Beispiele für neue |
53 | Verwertungsformen sind die massenhafte Digitalisierung und |
54 | Wiederverwertung vergriffener Werke. |
55 | |
56 | 3. Rechtspraktisch ließen sich Fair-Use-Grundsätze |
57 | schließlich noch in Form einer Generalklausel in den |
58 | bestehenden Schrankenkatalog integrieren, indem sie als |
59 | Auffangregel neben konkreten Schranken steht. |
60 | |
61 | Auf den ersten Blick wirkt die US-amerikanische Regelung |
62 | freier als die europäische. So sind etwa die Remixes und |
63 | Mash-ups, die von Internetnutzern bei YouTube veröffentlicht |
64 | werden, in den USA meist legal, während sie hierzulande von |
65 | keiner Schrankenregelung abgedeckt werden. Ein wesentlicher |
66 | Bereich des Web 2.0, nämlich jener der nicht-kommerziellen |
67 | kreativen Beteiligung von Laien, ist damit in den USA weit |
68 | weniger kriminalisiert als hierzulande. |
69 | |
70 | Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass Generalklauseln |
71 | stets auch eine Gefahr der Rechtsunsicherheit bergen: Was |
72 | noch fair use ist und was nicht mehr, muss im Zweifelsfall |
73 | vor Gericht durchgefochten werden. Die gerichtliche Klärung |
74 | der Geltungsreichweite von fair use wirft nicht nur hohe, |
75 | für die Beteiligten u. U. unwegbare Kosten auf, sie kann |
76 | sich auch über mehrere Jahre erstrecken. Allerdings ist auch |
77 | der Anwendungsbereich von Schrankenbestimmungen nicht gegen |
78 | gerichtliche Auseinandersetzungen gefeit. Jedoch ist es |
79 | typischer Weise so, dass niedergeschriebene Schranken mehr |
80 | Rechtssicherheit bedeuten, also offene Generalklauseln. |
81 | |
82 | So hat die Auseinandersetzung um die Google Buchsuche |
83 | gezeigt, dass schon die Aufbereitung von gescannten Texten |
84 | für eine Volltextsuche in dieser Hinsicht nicht unstrittig |
85 | ist. US-amerikanische Autoren- und Verlegerverbände hatten |
86 | die Suchmaschinenfirma Google allein aufgrund des |
87 | massenhaften Scannens für diese Volltextsuche angezeigt, aus |
88 | der ledigliche kleine Ausschnitte („Snippets“) angezeigt |
89 | werden sollten. Google hatte sich hingegen darauf berufen, |
90 | dass das Scannen für die bloße Suche als „fair use“ zu |
91 | gelten habe: So lange die geschützten Texte lediglich in |
92 | Form von zeilenweisen Ausschnitten („Snippets“) angezeigt |
93 | würden, erwachse dem Markt des gedruckten Buchs daraus keine |
94 | Konkurrenz. |
95 | |
96 | Was zuverlässig als unter die Schranke des Fair Use fallend |
97 | eingeordnet werden kann, ist also unsicher. Fair Use bleibt |
98 | ein stumpfes Schwert, wenn niemand weiß, welchen Umfang ein |
99 | solches Zugriffsrecht im Einzelfall vermittelt [Fußnote: |
100 | Stellungnahme des Sachverständigen Schild, S. 8]. |
101 | |
102 | Ganz unabhängig davon ob Fair-use die Probleme lösen kann, |
103 | bleibt festzuhalten, dass das der-zeitige Schrankensystem |
104 | durch das Entwicklungstempo gerade im Internet unter Druck |
105 | gerät. |
106 | Problemfeld: Technikfestigkeit der Schranken |
107 | |
108 | Es besteht eine Schieflage beim Einsatz von digitalen |
109 | Schutzmaßnahmen, die auch die Wahr-nehmung von |
110 | Schrankenbestimmungen in Frage stellen können. Etwas |
111 | abgemildert sind die Auswirkungen dieser Rechtslage durch |
112 | den Umstand, dass ein zu enges technisches Schutzsystem zu |
113 | Akzeptanzverlusten bei Nutzern führt. Dies wiederum ist |
114 | nicht im Interesse derjenigen ist, die Schutzsysteme |
115 | einsetzen, so dass diese darauf verzichten, die technischen |
116 | Schutzsysteme zu aktivieren. |
117 | |
118 | Sollte in Zukunft die technische Zugangskontrolle zu |
119 | Inhalten zum Regelfall (Stichwort: Trend zum Streaming) |
120 | werden, ist zu prüfen, wie sichergestellt werden kann, dass |
121 | die Schranken - auch mögliche zukünftig zu schaffende - |
122 | nicht leerlaufen. |
123 | |
124 | In der technischen Umsetzung gab es bereits mehrere Modelle |
125 | im Rahmen von DRM Maßnahmen mit höchst unterschiedlicher |
126 | Praxistauglichkeit. Die technischen Schutzvorkehrungen |
127 | beinhalten beim heutigen Stand der Technik verschiedene |
128 | Ansätze wie z.B. Software ID oder Hardware Authentifikation |
129 | verbunden mit einer Zugriffssteuerung und verschiedenen |
130 | Rechtemodellen inklusive damit verbundener |
131 | Nutzungsmöglichkeiten (z.B. Wiedergaberecht, Transportrecht, |
132 | Recht zur Modifizierung des Inhalts). |
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1.11.03 Problemfeld: Schrankensystematik / Fair-use (Originalversion)
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