1.11.03 Problemfeld: Schrankensystematik / Fair-use

1-1 von 1
  • 1.11.03 Problemfeld: Schrankensystematik / Fair-use (Originalversion)

    von EnqueteBuero, angelegt
    1 Es wird diskutiert, die oben genannten Schrankenprobleme
    2 durch generalklauselartige, dem amerikanischen Fair-Use
    3 entsprechende Regelungen zu lösen. Die „Fair-Use-Doktrin“
    4 findet in Fällen Anwendung, wo es um eine Abwägung von
    5 Nutzer- und Urheberrechten geht. Während die deutsche
    6 Schrankenregelung, die unter der Zielsetzung eines
    7 angemessenen Ausgleichs der Interessen entwickelt wurde,
    8 teilweise als unflexibel und starr angesehen wird, soll die
    9 Prüfung von Fair-Use-Grundsätzen in der Rechtsfindung den
    10 faktischen Gegebenheiten eher Rechnung tragen.
    11 Die Fair-Use-Doktrin, geregelt in §107 des Copyright Act,
    12 zielt auf „faire“ Benutzungshandlungen insbesondere im
    13 nicht-kommerziellen Bereich sowie auf kreative Werknutzungen
    14 ab (transformative use). Wichtigstes Kriterium ist dabei, ob
    15 der Urheber eines im Rahmen von „Fair Use“ verwendeten Werks
    16 durch die neue Nutzung in der wirtschaftlichen Verwertung
    17 seines Werks beeinträchtigt wird. Auch
    18 satirisch-parodistische oder sonstige freie Bearbeitungen
    19 fallen in der Regel unter Fair Use.
    20
    21 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die
    22 Fair-Use-Rechtsprechung einen nicht-abschließenden Katalog
    23 an Kriterien enthält, der durch Einzelfallrechtsprechung,
    24 wie es dem Case-Law eigen ist, entwickelt wurde.
    25
    26 In einer Studie der NGO Consumers International wurde das
    27 Fair-Use-System kürzlich als best-practice-Modell genannt
    28 [Fußnote: Die USA erhielten aufgrund dieses Systems eine
    29 besonders positive Bewertung ihres Urheberrechtssystems,
    30 weil die weichen Schranken zunächst eine Abwägung zulassen,
    31 woraufhin im Einzelfall über eine großzügigere Auslegung
    32 entschieden wird. Das System wird als innovationsfreundlich
    33 bezeichnet, da eine neue Nutzungsweise oder Technik nicht
    34 schon allein dadurch verboten ist, dass sie nicht in den
    35 Schrankenkatalog aufgenommen ist. Sie ist vielmehr nur dann
    36 nicht gestattet, wenn sie nicht als „fair“ eingeordnet
    37 werden kann. (Consumers International, IP Watchlist 2010, S.
    38 5, abrufbar unter http://a2knetwork.org/watchlist).]
    39
    40 Eine Übertragung auf die deutsche Urheberrechtsdogmatik ist
    41 rechtstheoretisch nur begrenzt möglich [Fußnote: Beispiele
    42 nach Achim Förster, „Fair Use“, S. 213 ff]:
    43
    44 1. So wird die Ersetzung des gesamten Schrankenkataloges
    45 durch eine einzige Generalklausel nach der Fair-Use-Doktrin
    46 wohl europarechtlich unzulässig sein.
    47
    48 2. Auch die Ergänzung einzelner Schranken um flexiblere
    49 Fair-Use-Elemente (wie beispielsweise die Neufassung des §
    50 51 UrhG) könnte ihr Ziel verfehlen, wenn gänzlich neuartige
    51 Verwertungsanliegen auch weiterhin nicht vom
    52 Schrankenkatalog erfasst sind. Beispiele für neue
    53 Verwertungsformen sind die massenhafte Digitalisierung und
    54 Wiederverwertung vergriffener Werke.
    55
    56 3. Rechtspraktisch ließen sich Fair-Use-Grundsätze
    57 schließlich noch in Form einer Generalklausel in den
    58 bestehenden Schrankenkatalog integrieren, indem sie als
    59 Auffangregel neben konkreten Schranken steht.
    60
    61 Auf den ersten Blick wirkt die US-amerikanische Regelung
    62 freier als die europäische. So sind etwa die Remixes und
    63 Mash-ups, die von Internetnutzern bei YouTube veröffentlicht
    64 werden, in den USA meist legal, während sie hierzulande von
    65 keiner Schrankenregelung abgedeckt werden. Ein wesentlicher
    66 Bereich des Web 2.0, nämlich jener der nicht-kommerziellen
    67 kreativen Beteiligung von Laien, ist damit in den USA weit
    68 weniger kriminalisiert als hierzulande.
    69
    70 Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass Generalklauseln
    71 stets auch eine Gefahr der Rechtsunsicherheit bergen: Was
    72 noch fair use ist und was nicht mehr, muss im Zweifelsfall
    73 vor Gericht durchgefochten werden. Die gerichtliche Klärung
    74 der Geltungsreichweite von fair use wirft nicht nur hohe,
    75 für die Beteiligten u. U. unwegbare Kosten auf, sie kann
    76 sich auch über mehrere Jahre erstrecken. Allerdings ist auch
    77 der Anwendungsbereich von Schrankenbestimmungen nicht gegen
    78 gerichtliche Auseinandersetzungen gefeit. Jedoch ist es
    79 typischer Weise so, dass niedergeschriebene Schranken mehr
    80 Rechtssicherheit bedeuten, also offene Generalklauseln.
    81
    82 So hat die Auseinandersetzung um die Google Buchsuche
    83 gezeigt, dass schon die Aufbereitung von gescannten Texten
    84 für eine Volltextsuche in dieser Hinsicht nicht unstrittig
    85 ist. US-amerikanische Autoren- und Verlegerverbände hatten
    86 die Suchmaschinenfirma Google allein aufgrund des
    87 massenhaften Scannens für diese Volltextsuche angezeigt, aus
    88 der ledigliche kleine Ausschnitte („Snippets“) angezeigt
    89 werden sollten. Google hatte sich hingegen darauf berufen,
    90 dass das Scannen für die bloße Suche als „fair use“ zu
    91 gelten habe: So lange die geschützten Texte lediglich in
    92 Form von zeilenweisen Ausschnitten („Snippets“) angezeigt
    93 würden, erwachse dem Markt des gedruckten Buchs daraus keine
    94 Konkurrenz.
    95
    96 Was zuverlässig als unter die Schranke des Fair Use fallend
    97 eingeordnet werden kann, ist also unsicher. Fair Use bleibt
    98 ein stumpfes Schwert, wenn niemand weiß, welchen Umfang ein
    99 solches Zugriffsrecht im Einzelfall vermittelt [Fußnote:
    100 Stellungnahme des Sachverständigen Schild, S. 8].
    101
    102 Ganz unabhängig davon ob Fair-use die Probleme lösen kann,
    103 bleibt festzuhalten, dass das der-zeitige Schrankensystem
    104 durch das Entwicklungstempo gerade im Internet unter Druck
    105 gerät.
    106 Problemfeld: Technikfestigkeit der Schranken
    107
    108 Es besteht eine Schieflage beim Einsatz von digitalen
    109 Schutzmaßnahmen, die auch die Wahr-nehmung von
    110 Schrankenbestimmungen in Frage stellen können. Etwas
    111 abgemildert sind die Auswirkungen dieser Rechtslage durch
    112 den Umstand, dass ein zu enges technisches Schutzsystem zu
    113 Akzeptanzverlusten bei Nutzern führt. Dies wiederum ist
    114 nicht im Interesse derjenigen ist, die Schutzsysteme
    115 einsetzen, so dass diese darauf verzichten, die technischen
    116 Schutzsysteme zu aktivieren.
    117
    118 Sollte in Zukunft die technische Zugangskontrolle zu
    119 Inhalten zum Regelfall (Stichwort: Trend zum Streaming)
    120 werden, ist zu prüfen, wie sichergestellt werden kann, dass
    121 die Schranken - auch mögliche zukünftig zu schaffende -
    122 nicht leerlaufen.
    123
    124 In der technischen Umsetzung gab es bereits mehrere Modelle
    125 im Rahmen von DRM Maßnahmen mit höchst unterschiedlicher
    126 Praxistauglichkeit. Die technischen Schutzvorkehrungen
    127 beinhalten beim heutigen Stand der Technik verschiedene
    128 Ansätze wie z.B. Software ID oder Hardware Authentifikation
    129 verbunden mit einer Zugriffssteuerung und verschiedenen
    130 Rechtemodellen inklusive damit verbundener
    131 Nutzungsmöglichkeiten (z.B. Wiedergaberecht, Transportrecht,
    132 Recht zur Modifizierung des Inhalts).