1.01 (Kreatives Schaffen)

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    von Administrator, angelegt
    1 Internet und digitale Technologien als Mittel für kreatives
    2 Schaffen, Selbstmarketing und Vertrieb / veränderte
    3 Akteurskonstellationen
    4
    5 Bestandsaufnahme:
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    7 Das Internet mit seinem vielfältigen und reichhaltigen
    8 Angebot an kreativen Inhalten und Informationen dient
    9 Urhebern in zunehmendem Maße als Medium der Inspiration und
    10 Recherche für das eigene Schaffen. Werkschaffen erfolgt seit
    11 je her durch Aufbauen auf Bestehendes durch Bearbeitung,
    12 Verknüpfung, Entlehnung oder bloße Inspiration an
    13 vorbestehenden Werken. Zu diesen bieten das Internet und
    14 andere digitale Technologien einen attraktiven und bequemen
    15 Zugang und befördern so kreatives Schaffen.
    16
    17 Die Publikation eigener Werke in offenen elektronischen
    18 Netzwerken ist heutzutage einfacher denn je. Gleichzeitig
    19 ist der Zugang zu Inhalten schnell, direkt und
    20 qualitätssicher möglich. Das motiviert zum Zugriff auf
    21 bereits verfügbare Inhalte. Diese Inhalte stehen – technisch
    22 gesehen – als stets verfügbare Bausteine zur Bearbeitung und
    23 Weiterentwicklung zur Verfügung. Die Möglichkeit zur
    24 Publikation eigener Werke und die jederzeitige
    25 Zugriffsmöglichkeit auf sofort veränderbare Inhalte sind
    26 Schlüsselfaktoren für die Geburt eines neuen Nutzertyps: den
    27 sog. „Prosumenten“, der Inhalte (wie früher) rezipiert, aber
    28 gleichzeitig auch neue Inhalte produziert oder verbreitet.
    29 Der Begriff der nutzergenerierten Inhalte (user generated
    30 content – UGC) steht plakativ für dieses Phänomen. Über
    31 soziale Netzwerke und vielfältige andere elektronische
    32 Formen des Austauschs können Urheber mit Nutzern oder
    33 anderen Kreativen interagieren, was einen direkten Einfluss
    34 auf den Schöpfungsprozess bietet oder auch kollaboratives
    35 Schaffen vereinfacht [Fußnote: Peifer, Karl-Nikolaus,
    36 Antworten zum Fragenkatalog der Enquete-Kommission Internet
    37 und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages:
    38 „Entwicklung des Urheberrechts in der Digitalen Gesellschaft
    39 vom 28. Oktober 2010“, S. 2.].
    40
    41 Prominentestes Beispiel dafür sind die Texte der Wikipedia,
    42 bei der jeder Nutzer auch zugleich als Ersteller tätig
    43 werden kann, auch wenn dies in der Praxis auf eine kleinere
    44 Gruppe reduziert bleibt. Interessant an diesen Formen ist,
    45 dass sie offenbar erhebliche Energie freisetzen, obwohl eine
    46 finanzielle Entlohnung nicht vorgesehen ist und insofern nur
    47 andere Motive wie Solidarität oder die Möglichkeit, seiner
    48 eigenen Auffassung Geltung zu verschaffen, als Anreiz in
    49 Betracht kommen. Diese Form gemeinschaftlicher
    50 Werkschöpfung, die sich etwa auch – hier aber z. T. mit
    51 kommerziellem Hintergrund – im Bereich der
    52 Freien-Software-Entwicklung [Fußnote: Freie Software wird
    53 dadurch definiert, dass sie von jedem Menschen
    54 uneingeschränkt benutzt, untersucht, verändert und
    55 weitergegeben werden kann. Das "frei" bezieht sich dabei
    56 nicht auf den Preis, sondern auf die Freiheiten, die diese
    57 Software den Menschen einräumt.] findet, ist bislang auf
    58 bestimmte Bereiche der Werkschöpfung beschränkt geblieben.
    59
    60 Kreatives Schaffen ist durch das Internet demokratisiert
    61 worden. Die Möglichkeit zur Produktion und Distribution
    62 eigener Werke steht heute jedem offen. Damit ist aber noch
    63 nicht gesagt, dass jeder, der heute Werke schafft, diese
    64 auch kommerziell zu vermarkten in der Lage wäre. Um
    65 beispielsweise ein Musikstück zu einem Massenerfolg zu
    66 machen, der es den Künstlern ermöglichen würde, davon ihren
    67 Lebensunterhalt zu sichern, ist Kapital nötig, bisweilen
    68 auch professionelle Unterstützung - so nimmt etwa die Rolle
    69 des Marketings im Musikgeschäft immer mehr zu. Eine kino-
    70 und fernsehtaugliche Filmproduktion ist auch heute noch von
    71 erheblichen finanziellen Ressourcen abhängig.
    72
    73 Die neue digitale Öffentlichkeit ist indes auch eine
    74 nicht-kommerzielle. Sie zielt sowohl auf künstlerische
    75 Anerkennung als auch auf kommerziellen Erfolg ab, sowie auf
    76 Teilhabe, Tausch und Dialog. Bürgerinnen und Bürger wachsen
    77 über ihre Konsumentenrolle hinaus, indem sie vorgefundenes
    78 Material kopieren, bearbeiten und in neue Kontexte
    79 einbinden: Remixes und Mash-ups entstehen, die auf ihr
    80 kulturelles Umfeld in spezifischer Weise Bezug nehmen. Wenn
    81 beispielsweise Fans Szenen ihrer Lieblingsfilme umschneiden
    82 und bei einem Videoportal einstellen, um, wie sie selbst
    83 meinen, der ursprünglichen Intention des Regisseurs näher zu
    84 kommen, ist das ebenso ein Kommentar, wie wenn politische
    85 Aktivisten Agitprop-Filme zu Stuttgart 21 collagieren. Auch
    86 Blogger wollen in der Regel nicht in dem Sinne erfolgreich
    87 sein, wie dies ein Verlag anstrebt, der eine Zeitung
    88 herausgibt. Vielen geht es nicht nur um pekuniäre Gewinne,
    89 sondern darum, an öffentlichen Diskursen teilzuhaben und
    90 diese gezielt zu beeinflussen.
    91
    92 Im Rahmen solcher Praxis sind Bürgerinnen und Bürger
    93 Rezipienten, Nutzer (auch im urheberrechtlichen Sinne)
    94 [Fußnote: Der Begriff des Nutzers wird häufig divergierend
    95 gebraucht. Mediennutzer oder Internetnutzer sind nicht an
    96 sich schon Werknutzer im urheberrechtlichen Sinne. Nutzer im
    97 Sinne des Urheberrechts ist man erst dann, wenn man Werke
    98 öffentlich zugänglich macht, bearbeitet, vervielfältigt
    99 etc., wenn man also ein Werk in genehmigungspflichtiger
    100 Weise nutzt.] und Urheber zugleich. Im Prinzip ist diese
    101 neue Art der Teilhabe an Öffentlichkeit begrüßenswert. Sie
    102 bedeutet aber auch, dass Menschen immer öfter mit dem
    103 Urheberrecht in Konflikt geraten, dessen Entwicklung mit
    104 jener der Medienwelt nicht Schritt gehalten hat.
    105 Veröffentlichungen von Remixes und Mash-ups auf eine legale
    106 Grundlage zu stellen, würde ein umfangreiches Rechteclearing
    107 voraussetzen, zu dem Bürgerinnen und Bürger ohne juristische
    108 Fachkenntnisse nicht in der Lage sein dürften.
    109 Ebenfalls bietet das Internet für Urheber und deren Partner
    110 gänzlich neue Vertriebsformen. Diese ermöglichen zumindest
    111 in Teilen eine Loslösung von bisherigen Intermediären und
    112 damit einen direkteren Einfluss auf die Verwertung der
    113 Schöpfung. Die steigende Erbringung von Eigenleistungen
    114 (etwa Layout, Aufnahme, Selbstvertrieb) erlaubt nicht
    115 zuletzt eine höhere finanzielle Beteiligung an den Erlösen.
    116 So können Autoren beispielsweise ihre Texte und Bücher
    117 direkt auf entsprechenden Plattformen und Endgeräten zur
    118 Verfügung stellen, nachdem sie diese mit oder ohne
    119 Einbeziehung eines Verlags in eine digitale Form gebracht
    120 haben. Online-Verwerter (etwa sog. Netlabels) ermöglichen es
    121 Urhebern und Interpreten, Musik auf vergleichsweise
    122 günstigem Wege digital zu verbreiten und zu vertreiben. Der
    123 digitale Vertrieb ermöglicht damit auch für den Kunden eine
    124 Loslösung vom stationären Handel. Er hat Zugriff von nahezu
    125 jedem Platz seiner Wahl und rund um die Uhr.
    126
    127 Unabhängig von Ladenöffnungszeiten kann er so die Werke des
    128 Urhebers konsumieren. Dies kann den Konsum von kreativen
    129 Werken und damit auch die Einnahmen auf Kreativseite
    130 erhöhen. Für viele Kreative und deren Partner ist das
    131 Internet ein zunehmend wichtiges Marketing-Mittel, um
    132 potenzielle Nutzer auf das eigene Schaffen hinzuweisen. Die
    133 Bandbreite reicht zum Beispiel von einer klassischen
    134 Internetseite als digitaler Visitenkarte über ein Profil in
    135 sozialen Netzwerken mit entsprechenden Hör- oder Leseproben
    136 bis hin zur kostenlosen Veröffentlichung ganzer Werke und
    137 Werksammlungen.
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    139 So können etwa alle Beteiligten der Kreativwirtschaft – ob
    140 Konzertveranstalter, Livemusiker oder Musikpädagoge,
    141 Schauspieler, Autoren und andere Künstler – auf ihre (auch
    142 weiterhin offline angebotenen) Dienste hinweisen. Den
    143 Urhebern oder Interpreten stehen gleichzeitig völlig neue
    144 und viel direktere Kommunikationswege zu ihren Nutzern und
    145 langjährigen Fans offen, die durch soziale Netzwerke oder
    146 virale Weiterverbreitung eine bisher ungekannte
    147 Aufmerksamkeit für kreative Werke hervorrufen können. Eine
    148 Wertschöpfung erfolgt entweder direkt im Internet oder durch
    149 entsprechende Werbeeffekte auf Offline-Geschäfte (etwa
    150 Auftritte oder Merchandising).
    151
    152 Das Internet rüttelt durch seine ubiquitäre und dezentrale
    153 Struktur zwar teils an etablierten Verwertungsketten. Es
    154 darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass dies
    155 z.T. bekannte Effekte aus zurückliegendem Medienwandel sind
    156 (z.B. Entstehung des Rundfunks), wenngleich andererseits
    157 auch zu betonen ist, dass damit die Dienstleistung der
    158 Intermediäre keinesfalls per se überflüssig geworden ist.